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Nanga Parbat (8125 m) Tagebuch 1999
30. Mai 1999
Die Reise beginnt
Aufbruchstimmung. Höchste Konzentration und Anspannung jetzt. Letzte Sichtung der schon seit Tagen sorgfältig gepackten Ausrüstung und bereitgelegten Unterlagen, und zwar nach Wichtigkeit: Reisepass, Geldmittel, Ziviles und Expeditions-Gepäck.
Ich trage die Gegenstände in umgekehrter Reihenfolge aus dem Haus in das bereitstehende Auto und starte danach mit der Fahrt nach Frankfurt / Main. Während der wohl knapp dreistündigen Reise versuche ich mich von dem hiesigen Alltag geistig zu lösen, und auf das weit entfernte Ziel einzustellen. Aber es ist wie bei einer Urlaubsreise, die „Vergessensfrage" gewinnt die Oberhand. Nochmals gehe ich im Geiste alle Punkte meiner mehrfach abgehakten Ausrüstungsliste durch. Ich kann aber nichts finden, was fehlen könnte. Das bringt mich von der hohen Spannung herunter. Nach etwa halber Fahrtzeit überqueren wir auf einer elegant geschwungenen Brücke das „Liebliche Taubertal". Hier habe ich erstmals das intensive „Fort-Empfinden" und genieße die Ausblicke, die sich jetzt rechts und links bieten. Die Fahrt verläuft angenehm und staufrei. Deshalb komme ich bereits reichlich zwei Stunden vor dem vereinbarten Zeitpunkt am Abflugterminal I in F/M an und kann dort noch ihn Ruhe einen Kaffee trinken. Nach und nach treffen die anderen Expeditionsteilnehmer ein. Freudige Begrüßung. Nur von Peter Guggemos ist nichts zu sehen. Was ist passiert, wo er doch sonst immer überpünktlich ist? Keiner weiß was, nur vage Vermutungen. Irgendwann wird das Warten und Rätseln um seinen Verbleib doch zu nervös und wir beginnen damit unser umfangreiches Expeditionsgepäck aufgegeben.
Nach und nach entschwindet das Gepäck auf dem Transportband hinter den Schotten und wir sind froh, dass wir nicht noch etwas aufzahlen müssen. In unserem Team befindet sich kein einziger Reicher. Im Gegenteil, alles war vom Munde abzusparen. Gerade als wir unsere Bordkarten erhalten haben, kommt Peter mit eiligen Schritten auf uns zu. Das Fragezeichen in unseren Gesichtern beantwortet er im Zulauf: Sein Zug blieb auf der Strecke liegen. Unvorstellbar! Normal nimmt man die gute alte Eisenbahn, um eben nicht legen zu bleiben. Irgendwie und gerade noch geschafft. Jeder erfasst ein Gepäckstück und hilft ihm beim Aufgeben. Der letzte Aufruf kommt schon. Im Sprint dahin eilen wir zum Flieger und sausen hinein. Die Plätze sind vorgegeben. Diese werden eingenommen. Leicht erhöhter Puls noch bei jedem. Die Maschine rollt an, wartet, erhält die Freigabe, zieht auf die Startbahn und schon heben wir ab. Für Minuten habe ich das Gefühl, das sie schräg nach oben zieht. Wie hoch werden wir schon sein? 26.000 Fuß etwa? Das wäre so circa die Höhe, in die wir wollen. Aber dann ohne Flugzeug. Nur durch eigene Kraft und Technik.
Reinhard Mey singt jetzt im Kopf: Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein . . .
Die Sequenz hat was Ohrwurmiges – das Lied ist traumhaft schön und ich stelle mir jetzt vor, wie es ist, wenn wir am Gipfel stehen und die unendliche Sicht genießen können. Bis dahin ist allerdings noch ein weiter Weg mit sicherlich vielen Überraschungen.
31. Mai 1999
Ankunft in Islamabad
Nach einem ewig langen Flug können wir endlich das Flugzeug verlassen und unsere Gliedmaße wieder strecken und dehnen, was wir auch ordentlich tun. Bereits auf der Gangway erschlagen uns Temperaturen jenseits von 40 °C, gewürzt mit einer extrem hohen Luftfeuchtigkeit, war zu spontanen Schweißausbrüchen führt. Zu allem Übel müssen wir noch einige Stunden im Flughafen verbringen, da Peters zu knapp aufgegebenes Gepäck natürlich nicht mit unserer Maschine mitgekommen ist, sonder erst mit der Nächsten kommt. Wir erfahren dann: heute nicht mehr, erst morgen. Inschallah.
Die örtliche Agentur holt uns mit einem Bus vom Flughafen ab und bringt uns erst einmal in unser Hotel, wo ich meine Bekleidung gleich den hohen Temperaturen anpasse. Es gibt heute noch einiges zu erledigen wie Zollformalitäten und die vorbereiteten Postkarten aufgeben und so machen wir uns auch gleich wieder auf den Weg. 450 Briefmarken zu beschaffen gestaltet sich schwieriger als gedacht. Zunächst kaufen wir alles leer und müssen uns mit 300 Exemplaren zufriedengeben. Nach dem erfolgreichen Verwaltungsakt beim Zollamt fange ich bald mit dem Bekleben meiner Postkarten an, höre aber nach 100 Postkarten bereits wieder auf. Geplant war ja diese hier in dieser Stadt gleich zu versenden, damit das erledigt ist. Aber diese doch umständliche und zeitraubende Arbeit wird ungeplant zum Stress. Also vertagen? Aber es ist mir auch bekannt, dass die Aufgabe und Beförderung der vielen Post außerhalb der Hauptstadt Pakistans wesentlich umständlicher wird. Also auf die Zähne beißen und weiter frankieren. Noch mal zehn und noch mal zehn. Mir tut die Zunge weh. Und dieser leimige Geschmack im Mund! Den ersten Abend hier beschließen wir mit einem gemeinsamen Abendessen im Pearl Continental Hotel.
01. Juni 1999
Besichtigung der Faisal Moschee
Nach dem Frühstück setze ich gleich meine Postkartenaktion in dem schönen Hotelgarten fort und am Nachmittag versuche ich nochmals mein Glück beim Postamt, um die noch fehlenden Briefmarken zu ergattern.
Tatsächliche sind die noch benötigten Briefmarken jetzt da und mir fällt ein Stein vom Herzen, dem Postbeamten aber dann der Kinnladen herunter: Als ich meine 300 frankierten Postkarten über die Theke reiche und ihn bitte, dass sie er sie sogleich abstempeln möge, ist er erst einmal nicht gewillt dies zu tun. Nach einigem hin und her, beginnt er dann doch zu stempeln.
Und hier zeigt sich seine Routine: Der Stempel-Takt steigert sich zu atemberaubender Geschwindigkeit. Na wer sagt es denn: wie man freundlich hineinschallt . . . Die restlichen Postkarten, jetzt mit den nachgekauften Briefmarken versehen, gebe ich dann in den Briefkasten am Hotel, bevor wir zur Besichtigung der Faisal Moschee fahren. Sie präsentiert sich uns dann ein einem fantastischen Abendlicht und mir gelingen einige ebensolche Fotos.
02. Juni 1999
Fahrt auf dem Karakorum Highway
Schon sehr früh am Morgen verlassen wir Islamabad mir einem kleinen Bus und begeben auf die lange Reise nach Chilas über den Karakorum-Highway. Die gewagte Trasse wurde in Kooperation von China und Pakistan in einem Zeitraum circa 20 Jahren erbaut und im Jahre 1978 eröffnet.
Der Bau der Straße stellte aufgrund der häufigen Erdrutsche an teilweise schroffen Berghängen und wegen der enormen Höhenlage eine große Herausforderung dar. Auch an die total überalterten Fahrzeuge, die überwiegend darauf verkehren. Viele bleiben unterwegs liegen oder verunfallen und werden einfach dort belassen. Schlussendlich sind die 880 Kilometer auf dem kurvenreichen Karakorum Highway ein Abenteuer für sich mit absolut unvergesslichen Eindrücken.
Nach langer Fahrt bei sehr hohen Temperaturen erreichen wir unser Tagesziel Chilas dann am späten Abend und quartieren uns schnell in das gleichnamig Hotel für die kommende Nacht ein.
03. Juni 1999
Jeepfahrt zur Hallal Brücke
Unser heute Ziel können wir mit dem Pendelbus nicht mehr erreichen und müssen ungeplant auf Jeeps umsteigen. Wir verladen zuerst am Hotel unsere Ausrüstung in die Jeeps und fahren danach zum Sammelplatz bei der Bunarbrücke, wo circa 80 Träger auf Arbeit warten. Es ist ein Prozess, der Geduld erfordert, bis einige Diskussionen zu Ende geführt und die Lasten aufgeteilt sind. Dann ist aber soweit und wir starten zu der einstündigen Fahrt zur 1800 m hoch gelegenen Hallal Brücke. Dort angekommen wird unser Lager aufgebaut und wir verbringen unsere erste Nacht nicht mehr im Hotelbett, sondern im Zelt, welches dort erstmals aufgeschlagen wird.
04. Juni 1999
Aufstieg im engen Diamir Tal
Nach zeitigem Abbau und Aufbruch folgt die erste Tagesetappe. Schon früh ist es unangenehm heiß.
Obwohl wir bereits kurz nach 5:00 Uhr starten, brennt im engen Diamir Tal die Sonne unmittelbar nach Erscheinen erbarmungslos auf uns herunter.
Der Weg in der Schlucht zieht sich entlang steiler Berghänge mit viel rauf und runter und zwischendurch gibt das Tal auch den Blick auf unser Ziel, den Nanga Parbat frei.
Wir steigen heute 1100 Meter nach oben und erreichen unseren zweiten Lagerplatz in der Nähe des Dorfes Ser in 2600 Meter Höhe.
05. Juni 1999
Birkenwald am Gletscher
Wieder zeitiger Abbau und Aufbruch. Nach der nun folgenden tristen Schlucht kommen wir dann durch herrliche Wälder und Wiesen. Die große Hitze vom Vortag kehrt nicht wieder, weil wir schon Einiges höher sind, wo es frischer und deshalb angenehmer ist.
Wir können heute die ganze Zeit lang die tolle Landschaft genießen. Ob es die Bauern auf den winzigen und armseligen Almen hier oben auch so wie wir genießen können, möchte ich bezweifeln. So wie es aussieht, haben sie ein hartes Brot hier oben. Aber sicher haben sie nicht die jagende Hektik, die wir West-Europäer haben. Dagegen müssen sie hier in dieser abgelegenen Gegend sehr darauf bedacht sein, nicht krank zu werden.
Ärztliche Hilfe ist weit weg und ausreichend Geld haben die Menschen sicher auch nicht. Gerade einigermaßen zu essen und zu wohnen, das ist das Niveau hier dieser Bergvölker. Nach einiger Zeit kommen wir an die Randmoräne des vom Nanga Parbat herunterziehenden Gletschers. Hier ist ein wundschöner Birkenwald und wir haben von da einen grandiosen Ausblick auf den Nanga Parbat: ein Monster von Berg, der von seiner Wildheit kaum zu überbieten ist. Ich bin jetzt sehr gespannt, was uns in den nächsten Wochen alles erwartet.
06. Juni 1999
Ankunft im Basislager (4250 m)
Wie üblich starten wir wieder sehr früh am Morgen. Es ist allerdings heute sehr kalt und schon nach kurzer Zeit habe ich klamme Finger. Das ist nicht gut und kann noch heiter werden, wenn wir erst am Berg sind! Die letzte Etappe führte über herrliche Sommeralmen und Wiesen hinauf in eine windgeschützte Mulde seitlich der Gletschermoräne des Diamir-Gletschers.
Dort ist ein ausnehmend schöner Basislagerplatz mit jede Menge kleinen Blumen. Die Zelte stellen wir auf einer Grasfläche auf, abseits der Blumen. Gleich oberhalb ist eine kleine Quelle mit frischem Wasser. Wir sortieren dann unsere Ausrüstung und bereiten alles für den ersten Aufstieg zum Lager I vor.
07. Juni 1999
Ausflug in Richtung Lager I (4500 m)
Peter und ich erkunden heute den Weg zum Lager I, welches unter einem schützenden Felspfeiler aufgebaut werden soll. Der Weg führt vom Basislager zuerst durch Wiesen entlang des Diamir-Gletschers bis zum großen Gletscherbecken unterhalb der Diamir-Flanke. Den Schottrigen- und somit auch von Steinschlag gefährdet Moränenhang bringen wir schnell hinter uns und steigen dann noch bis auf 4500 m hinauf, von wo aus der Aufstieg zum Lager I klar vorgegeben ist. Wir kehren danach wieder ins Basislager zurück und stellen die Lasten für den ersten Aufstieg zum Lager I zusammen.
08. Juni 1999
Materialtransport zum Lager I (4900 m)
Beladen mit je 15 kg Material, steigen wir heute langsam hinauf zum Lager I. Oberhalb des Umkehrpunktes von gestern müssen wir den Aufstieg mit Bedacht wählen, da hier der Weg durchaus von Eisschlag und Lawinen bedroht sein kann.
Auf 4900 m und somit 650 m oberhalb des Basislagers haben wir unterhalb eines schützenden Felspfeilers einen erfahrungsgemäß sicheren Platz gefunden, wo wir unser Lager aufbauen wollen.
Das Gelände ist hier durchweg 40° steil und so ist es sehr mühsam, die Plattform für zwei Zelte aus dem Schnee bzw. Eis zu hacken. Nach zwei Stunden harter Arbeit stehen endlich die beiden Zelte und wir machen uns wieder auf den Rückweg zum Basislager. Morgen wollen wir erneut aufsteigen und das erste Mal im Lager I übernachten. Wir bilden zwei Teams, die abwechselnd am Berg arbeiten sollen, und benötigen dadurch weniger Zelte am Berg. Unsere Gruppe mit Peter, Mads, Allen und mir, sind hauptsächlich für die Versicherung der Route zuständig. Die andere Gruppe für den Materialnachschub.
09. Juni 1999
Versicherungsarbeiten in der Löw-Eisrinne
Unser Team steigt am frühen Morgen hinauf zum Lager I, wo wir gegen 5:00 Uhr eintreffen. Wir deponieren dort einen Teil unserer Ausrüstung und steigen dann in die Löw-Eisrinne ein.
Innerhalb der nächsten 3 Stunden können wir 550 m Seil in der Rinne anbringen und steigen danach wieder ins Lager I ab.
Nachdem die Wetterzeichen auf eine Wetterverschlechterung hindeuten, steigen wir auch gleich wieder ganz ins Basislager ab.