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16. April 2001

Basislager: Ostern

Ostern zu Füssen der höchsten Berge der Erde. Das hat etwas Besonderes. Vielleicht, und das scheint uns wahrscheinlicher, hat es auch gar nichts. Eigentlich hatten wir vor, Phrem, unseren herzensguten Koch, zu bitten uns ein paar Eier zu kochen. Wenn wir nämlich etwas wirklich im Überfluss haben, dann sind es Eier. Wir wollten sie mit Filzstiften bemalen und dann verstecken. Aber wir haben es dann doch gelassen. Zuviel Aufwand, zu viel Kind im Manne. Stattdessen ziehen wir von den anderen Expeditionen Erkundigungen ein, wie es in den nächsten Tagen weitergehen soll.
Die Zeiten, in denen am Everest jede Gruppe Bergsteiger eigenständig Sicherungen am Berg angebracht hat, sind längst vorbei. Die Arbeiten am Berg werden koordiniert. Eine Expedition aus Kasachstan hat sich bereit erklärt, den Weg vom Lager II zum Lager III mit Fixseilen zu versehen, an denen die anderen Gruppen dann aufsteigen werden. Wer am Mount Everest bergsteigerische Romantik und Ruhe sucht, ist sicherlich fehl am Platz. Dazu ist der höchste Punkt der Erde viel zu begehrt. Ein Abenteuer ist es allemal noch, selbst wenn in diesem Jahr bereits 16 Expeditionsgruppen aus allen Herren Länder zur Besteigung angerückt sind. Und vor diesem Hintergrund vergessen wir gerne mal Ostern und die Ostereier. Auch wenn wir uns den ganzen Tag ständig gegenseitig mit "Frohe Ostern" begrüßen. Der am Morgen noch strahlend blaue Himmel hat sich längst wieder hinter dichten Wolken versteckt. Helmut Hackl und Dieter Porsche werden noch einen Tag rasten, Peter Guggemos und Uwe Zürner planen für Dienstag einen Vorstoß in Richtung Lager I, um weiteres Material auf den Berg zu schaffen.

17. April 2001

Basislager: Fluch der Technik

Welch enorme Bedeutung den Ruhetagen bei der Besteigung des Mount Everest zukommen, davon war an vor einigen Tagen schon einmal die Rede. Doch diese Tage gehen nicht immer nur mit Ausruhen, Schlafen und Essen vorüber. Auch in der direkten Umgebung des Basislagers gibt es immer wieder viel zu tun. So haben einige aus unserer Bergsteigergruppe inzwischen bereits zweimal ihr Zelt umstellen müssen, weil sich unter der Bodenplane immer wieder kleine Gletscherabflüsse bilden, die dann bei entsprechender Sonneneinstrahlung alles durchnässen. Vielfach werden die oft endlosen Stunden im Camp mit mehr oder weniger ernsten Gesprächen oder dem Schreiben von Postkarten genutzt. Und natürlich wollen auch die Nachrichten nach Deutschland übermittelt werden. Dabei steckt die Tücke in der Technik. Selbst modernste Notebooks und unser Satellitentelefon sind im Grunde nicht für diese unwirtliche Gegend weit jenseits der 5000-Meter-Grenze geschaffen. Durch die extreme Kälte ermüdet das Material - insbesondere alle Plastikteile. So standen wir gerade heute wieder ein wenig ratlos vor dem Telefon, als die Buchse für die Spannungsversorgung durch das Solarmodul herausbrach. Mit klammen Fingern nestelte Dieter über eine Stunde an winzigen Steckern und Kabeln herum, bis er endlich eine Notlösung fand, die uns den Kontakt zur Außenwelt über die nächsten Wochen gewährleistet. Gleichermaßen überraschend erhalten wir immer wieder netten Besuch. Denn es gehört fast schon zur Tagesordnung, dass nette Trekkerinnen und Trekker bei uns auf eine Tasse Tee hereinschauen. Eine angenehme Abwechslung, denn irgendwann kann man die unrasierten Gesichter selbst der besten Freunde nicht mehr sehen. Wir hatten bereits die ganze Zeit überlegt, ob wir nicht sogar ein Gästebuch anlegen sollen. Und diesmal war der Besuch nicht irgendwer, der Eintrag hätte sich besonders gelohnt: Manfred Lindinger, Franziskaner Weißbier München, Abteilung Vertrieb. Der 40jährige hat sich durch das ganze riesige Basislager vorgetastet, bis er endlich vor dem Zelt von Christian Rottenegger mit dem großen Franziskaner-Aufdruck stand. Dort war er richtig. Und Manfred Lindinger kam nicht mit leeren Händen: Schildkappen, T-Shirts und Kugelschreiber, alles in Nepal sehr begehrte Güter, schleppte er in unser großes Esszelt. Es gab niemand in unserer kleinen Runde, der sich nicht gefreut hätte. Nur eines hatte er zu unserer aller Enttäuschung nicht dabei: ein frisches, schäumendes und unvergleichliches Franziskaner Weißbier. "Schade" war an diesem Nachmittag, an dem die Sonne heiß vom Himmel brannte, eine der meistgebrauchten Vokabeln.

18. April 2001

Basislager: Wildes Schneetreiben

Diesen Tag hatten wir uns alle anders vorgestellt. Ganz anders. Eigentlich hatte Christian Rottenegger, der endlich und vollständig von seinem schlimmen Husten genesen und wieder im Basislager eingetroffen ist, geplant, einen ersten Vorstoß in den Khumbu-Eisbruch und zum Lager I zu unternehmen. Dieter Porsche und Helmut Hackl wollten zum Lager II aufsteigen, dort übernachten und dann das Lager III in fast 7400 Meter in Angriff nehmen. Doch das waren nur einseitige Willenserklärungen, mehr nicht. Die Rucksäcke und alles Material waren schon gepackt und standen bereit, als der unkalkulierbare Wettergott des Himalayas wieder unbarmherzig die ehrgeizigen Pläne zunichtemachte. Es schneit seit Stunden und die Wolkendecke scheint immer dichter zu werden. Nun sitzen Expeditionsleiter Peter Guggemos und Uwe Zürner tatenlos im Lager I und auch wir im Basislager sind zum Nichtstun verurteilt. Dieses Warten zerrt an den Nerven aller Beteiligten, denn die innere Uhr ist auf Bewegung programmiert und nicht auf Herumsitzen. Die tiefen Temperaturen tun ein Übriges. Wohl dem, der da etwas Angenehmes auf der Haut hat. Ausrüstung und insbesondere funktionelle Bekleidung spielen bei einer Expedition eine ganz entscheidende Rolle. An diesem tristen Vormittag hat Dieter den anderen Expeditionsmitgliedern seine Wäschekollektion von "Bruno Banani" vorgeführt. Die Modenschau wurde von einer eingehenden Figur-Diskussion beherrscht. Doch wirklich bestochen haben die Farben und am Ende der willkommenen Abwechslung war manch einer wild entschlossen, seine Ausrüstung für die nächste Expedition entsprechend zu ergänzen.

19. April 2001

Basislager: Dorf-Tratsch

Seit rund zehn Jahren entsteht immer im Frühjahr am Fuß des Mount Everest eine gewaltige Zeltstadt. Bergsteiger aus aller Welt schlagen dort für rund drei Monate ihr Camp auf. Im Frühjahr 2001 stehen derzeit etwa 300 Zelte auf der gewaltigen Gletschermoräne. Im Laufe der vergangenen vier Wochen ist an einem der vielleicht kältesten und hässlichsten Plätze der Erde - sieht man einmal von den gewaltigen Ausblicken auf die umliegenden Gipfel ab - ein kleines Dorf entstanden. Und die Bergsteiger aus allen Herren Länder, mit ihren unterschiedlichen Sprachen, Mentalitäten, Kulturen und Ansichten, leben im Everest-Basislager auch wie in einem Dorf. Es gibt zwar keinen Bürgermeister und auch keinen Supermarkt zum Einkaufen, doch alles andere gibt es sehr wohl. Man mag sich oder man mag sich nicht. Man beobachtet einander mit Argwohn oder Anerkennung, es wird getratscht und gelästert. Und es brodelt die Gerüchteküche. Das derzeit alles beherrschende Thema: Ist die Anstiegsroute zwischen Lager II und Lager III nun schon mit Fixseilen versichert oder nicht. Der Everest ist kein Berg wie jeder andere.
Durch die vielen Expeditionen ist es gar nicht mehr möglich, dass sich jede Bergsteigergruppe ihren eigenen Weg Richtung Gipfel bahnt und auch selbst versichert. Mehr als die Hälfte der bislang rund 1100 Besteigungen erfolgte in den vergangenen acht bis neun Jahren. Und längst ist es zur Gewohnheit geworden, dass die Sherpas den gefährlichen Khumbu-Eisbruch mit Seilen und Leitern "entschärfen" und dann weiter oben die Bergsteiger teilweise selbst Hand anlegen. In diesem Jahr hat das große Meeting der Expeditionsleiter festgelegt, dass die Route zwischen Lager II und Lager III von einer kasachischen Expedition in direkter Zusammenarbeit mit dem Team des Italieners Simone Moro versichert werden soll. Seit drei, vier Tagen schießen die Spekulationen praktisch stündlich aufs Neue ins Kraut. "Der Weg ist frei", heißt es in der Früh. Und zwei Stunden später wird alles wieder dementiert. In vielen Expeditionen sitzen die Bergsteiger auf gepackten Rucksäcken und wissen nicht so recht, was sie tun sollen. Die meisten Kletterer sind inzwischen auf eine Höhe von 6500 Metern akklimatisiert und drängen weiter nach oben. Machten gestern noch die anhaltenden Schneefälle einen Anstieg praktisch zunichte, so bestehen heute ideale Bedingungen, die die Bergsteigerherzen höherschlagen lassen. Doch die besagte Gerüchteküche sorgt eher für Verdruss. Optimale Wetterbedingung für einen Aufstieg (wenn es auch nur von kurzer Dauer ist). Die jüngste Meldung lautet, dass die Fixseile fertig gelegt sind. Aber wer mag das jetzt noch glauben. Ganz unabhängig von der stündlich wechselnden "Nachrichtenlage" im Dorf, haben sich Dieter Porsche und Helmut Hackl längst schon entschieden, dass sie am Freitag (20.04.) zum Lager II aufsteigen, dort übernachten und dann am Wochenende den vorerst entscheidenden Vorstoß in Richtung Lager III unternehmen wollen. Ein ganz kühner Plan in der Geheimschublade besagt, dass bei entsprechender Witterung und persönlicher Verfassung sogar schon der Südsattel (knapp 8000 Meter über dem Meeresspiegel) anvisiert werden könnte. Und vielleicht begegnen die beiden bei ihrem Anstieg Peter Guggemos, Uwe Zürner und Christian Rottenegger, die sich dann wohl auf dem Weg zurück ins Basislager befinden werden. Wieder einmal herrscht Aufbruchstimmung im Team der deutschen Everest-Expedition 2001. Diesmal sind die Hustenkranken dran. Elf Tage lang hatte Christian Rottenegger das Basislager verlassen, um einen schlimmen Husten auszukurieren. Für fünf Tage war auch Peter Guggemos, unser Expeditionsleiter abgestiegen, um gegen den lästigen Husten anzukämpfen. Bei Bergsteigern ohne Achttausender-Erfahrung kann derlei leicht an den Nerven zerren, denn viele sehen schnell ihre Gipfelchancen schwinden. Doch noch ist am Everest im Prinzip nichts wirklich Entscheidendes passiert. Bei allen Expeditionen - es sind auf der Südseite inzwischen zwanzig Gruppen und auf der Nordseite sogar 26 - läuft die Phase der Höhenanpassung auf Hochtouren. Doch in Gipfelnähe ist noch lange niemand gelangt. Das liegt einerseits daran, dass die Fixseile noch nicht durchgehend angebracht sind und andererseits natürlich auch daran, dass an den Flanken des höchsten Berges der Erde noch immer unvermindert die gefürchteten Höhenstürme, die Jetstreams, toben. Die ersten Gipfelversuche werden deshalb nicht vor Anfang, Mitte Mai möglich sein. Nun ist also auch für Peter und Christian die Zeit am Berg gekommen. Auch sie wühlen sich nun durch den Khumbu-Eisbruch und weiter ins Lager II. Und auch Uwe Zürner ist wieder am Berg unterwegs. Sie alle berichten die immerwährend gleiche Dinge: Die Verhältnisse am Dach der Welt sind in diesem Frühjahr außerordentlich schwierig. Es ist an den Flanken des Everest einfacher, sich auf Schnee zu bewegen. Doch die Höhenstürme haben den Berg blank gefegt. Soweit das Auge reicht, nur schwarzes Gestein und blaues, blankes Eis.

20. April 2001

Aufstieg ins Lager II: Wieder durch den Khumbu-Eisbruch

Dieter Porsche und Helmut Hackl verschwinden zum dritten Mal im bergsteigerischen Elend des Khumbu -Eisbruchs. Wirklich schön empfindet dieses Chaos wohl kaum einer der Kletterer. Eine trostlose, immerwährend lebensgefährliche Eiswüste, die sich wie ein unüberwindliches Hindernis über dem Basislager aufbäumt. Peter Habeler, der große Zillertaler Bergsteiger, dem 1978 zusammen mit dem Südtiroler Reinhold Messner die erste Besteigung ohne zusätzlichen Flaschensauerstoff gelang und der im vergangenen Jahr an den Everest zurückkehrte, durchquerte diese lästige Eiswüste im Vorjahr sage und schreibe 20 (!) Mal. Danach hatte er die Nase gestrichen voll von den umstürzenden Séracs und Eislawinen. Den Kletterern unserer Expedition geht es nicht anders. Doch mit jedem Mal geht es auch schneller. Und Schnelligkeit bedeutet am Everest Sicherheit. Im Lager I "kehren" Helmut und Dieter kurz ein. Sie holen Christian Rottenegger ab, der dort in der vergangenen Nacht seelenruhig in seinen Geburtstag hineingeschlummert hat. Dass ihm einmal jemand an den Hängen des Mount Everest in einer Höhe von knapp 6000 Meter Höhe zum Geburtstag gratulieren würde, hätte sich der Bobinger auch kaum träumen lassen. Ohne Torte im Gepäck stapfen die Drei in Richtung Lager II.

21. April 2001

Aufstieg ins Lager III: Im Steileis

Am frühen Morgen starten Dieter Porsche und Helmut Hackl vom Lager II in Richtung der ebenso berühmten wie berüchtigten Lhotseflanke. Nach rund zwei Stunden stehen sie am Fuß der gewaltig anmutenden Flanke. Gleich zu Beginn geht es steil im blau-türkisen Blankeis nach oben. Das mag zwar ein faszinierender und berauschender Anblick sein. Doch selbst für die härtesten Bergsteigerwaden bedeutet die ständige Belastung über die Frontalzacken der Steigeisen irgendwann "Saures". Die Waden schwellen an wie Luftballone, sie pumpen sich förmlich auf und immer wieder werden längere Pausen unumgänglich. Die Frage nach dem, warum stellt, sich während der Ruhephasen immer mal wieder. Doch wer mag, oder kann diese Frage schon beantworten: "Warum auf den Everest? Warum?" Die vielleicht banalste, aber immer noch schönste hat wohl der britische Everestpionier George Mallory schon Anfang des Jahrhunderts gegeben: "Warum ich den Everest besteigen will? Weil er da ist!" Nach einigen Stunden im steilen Eis werden selbst die Pausen zur Qual, denn wirklich entspannt stehen kann hier niemand mehr. Der eiskalte Wind, der den beiden deutschen Bergsteigern ohne Unterlass entgegen bläst, tut ein Übriges. Ganz langsam, schleichend sozusagen, kühlen die Körper aus und es wird immer schwerer Energie aufzubringen. Nach sechs Stunden erreichen Dieter und Helmut schließlich das Lager III in circa 7400 Meter Höhe. Zwei der Sherpas haben kurz zuvor ein Zelt aufgestellt und im Abstieg begegnen sich die Vier. Es ist dies nicht die Zeit der großen Worte. "Danke", sagen kann man besser im Basislager. In dieser Höhe ist jeder mit sich selbst beschäftigt. So gut es geht, richten sich Helmut und Dieter das Zelt ein, das unsere Sherpas kurz zuvor errichtet haben. Gemütlichkeit ist etwas anderes. Die beiden ruhen sich aus, schmelzen Unmengen Schnee und kochen mühselig ein paar Liter Tee. Dieter ist der Genügsamere, Helmut hat die ganze Nacht über das Gefühl zu verdursten. Es bleibt stürmisch. Das spüren 1000 Meter tiefer im Lager II auch Peter Guggemos, Christian Rottenegger und Uwe Zürner. Auch dort spielt der Sturm auf den Zeltplanen und zwischen den Stangen sein grausiges Lied. "Ich habe die Niagarafälle gehört", befindet Christian. Nur einmal wagen sich Helmut und Dieter in den eisigen Höhen vor das Zelt. Die Möglichkeit, ein paar einmalige Aufnahmen zu machen, ist zu verlockend.

22. April 2001

Abstieg ins Basislager: Starker Sturm und tiefe Temperaturen

An diesem Morgen macht Helmut Hackl seine letzten Aufnahmen mit der digitalen Kamera. Kaum 50 Höhenmeter unter dem so exponiert liegenden Zelt im Lager III, gleitet im das kleine Gerät durch die klammen Finger. Dapp, dapp, dapp springt moderner Hightech die Lhotseflanke hinunter. Auf Nimmerwiedersehen. Unterwegs zerschellt die Kamera in ihre Bestandteile. Zuvor hatten die beiden die anstrengenden Vorbereitungen für den Abstieg um sechs Uhr getroffen. Allerdings erlaubten die tiefen Temperaturen (circa minus 25 Grad Celsius) den geplanten frühen Aufbruch nicht. Ganz im Gegenteil, die beiden mussten warten, bis die ersten Sonnenstrahlen ihr Zelt erreichten. Und so quälten sich die beiden erst gegen acht Uhr aus dem engen Zelt ins Freie und befanden sich auf einer winzigen Plattform von nur einem halben Quadratmeter vor dem Zelt. Direkt an der Kante standen die Fußspitzen 800 Meter über dem Abgrund. Hier mussten nun in einem Balanceakt die Steigeisen angezogen und der Rucksack geschultert werden. Im Hinterkopf immer der Gedanke an die 800 Meter tiefe und 45 Grad steile Lhotseflanke, die sich unter den beiden auftat. Nur keine falsche Bewegung machen, so hart an der Absturzgrenze. Im Abstieg machte sich ein bekanntes Everestphänomen bemerkbar. Dieter und Helmut auf dem Weg nach unten und viele Sherpas auf dem Weg nach oben. Da kommt es zwangsläufig zu Wartezeiten. Gegen 11 Uhr erreichten die beiden Lager II. Zu diesem Zeitpunkt waren Peter Guggemos, Uwe Zürner und Christian Rottenegger bereits seit 24 Stunden wieder zurück im Basislager. Dieter und Helmut versuchten derweil im Lager II ihren Wasserhaushalt mit frischem Tee ins Lot zu bringen und setzten schließlich ihren Abstieg weiter fort. Zwischen Lager II und I blies der Wind mit einer derartigen Wucht, dass es oft schwer war, sich auf den Beinen zu halten. Die Leitern über die schwindelerregend tiefen Gletscherspalten entwickelten sich zum Tanz ohne doppelten Boden, zumal der Abstieg nun doch deutliche Spuren hinterlassen hatte. Die beiden waren längst müde und es kostete einiges an Überwindung, um die vielen Gegenanstiege im Khumbu - Eisbruch noch souverän hinter sich zu bringen. In der Mitte des Eisbruchs war ein großer Eisturm umgefallen und Dieter und Helmut mussten zu allem Überfluss einen neuen Weg suchen. Nach rund sechs Stunden erreichen die beiden unter großem Hallo und mit mächtigem Durst das Basislager. Dieses Basislager ist für die Bergsteiger längst End- und Ausgangspunkt in einem geworden. Helmut und Dieter berichteten nicht ohne einen gewissen Stolz von besonderen Begebenheiten. Dieters Unterwäsche von "bruno banani" ist bis Lager III auf "Härte" getestet. Und Helmut hat den Wimpel mit dem kleinen dicken Mönchlein von Franziskaner auch im dritten Hochlager deponiert. Der Gipfel rückt auch für Sachgegenstände näher.

23. April 2001

Basislager: Alle versammelt

Das hat es lange nicht mehr gegeben. Alle Mitglieder der deutschen Everest-Expedition sind einmal wieder im Basislager versammelt. Das gibt nicht nur Gelegenheit Meinungen und Erfahrungen auszutauschen, sondern auch über die weitere Taktik, die an diesem gewaltigen Berg so eine entscheidende Rolle spielt, zu sprechen. Auch unsere italienischen "Nachbarn" sind vom Berg zurück. Ein paar Mal ist das Wort Spaghetti gefallen. Wen sollte es wundern, Italiener eben. Der Wind hat sich gedreht. Nun bläst er von Norden und von Tibet her. Ein schlechtes Zeichen ist das nicht. Doch im Lager sorgt es für Verdruss. Denn den ganzen Tag über ist es kaum möglich, sich länger als ein paar Minuten im Freien aufzuhalten. Trotz strahlendem Sonnenschein ist kaum jemand ohne dicke Daunenjacke zu sehen. Am Nachmittag hat ein Meeting stattgefunden. Dabei kam auch der Umgang mit den Sauerstoffflaschen, den Atemmasken und den empfindlichen Regulatoren zu Sprache. Die nächsten Tage werden der Ruhe und Regeneration vorbehalten sein.

24. April 2001

Gorak Shep / Upper Lobuche: Flucht aus dem Basislager

Es sind oftmals die kleinen Dinge, die am Fuße des Mount Everest Wunder bewirken. Für ein paar Stunden eine andere Umgebung, für einen halben Tag ein paar andere Gesichter, schon das kann die Stimmung grundlegend ändern. Sollte man glauben. Die deutsche Everest-Expedition 2001 ist inzwischen seit drei Wochen im Basislager. Keine Frage, dass sich dann auch der Lager-Koller beginnt einzustellen. Während sich Peter Guggemos und Uwe Zürner an diesem sonnig warmen Vormittag auf ihren Anstieg Richtung Lager III vorbereiten, verlassen - fast schon fluchtartig - Dieter Porsche, Christian Rottenegger und Helmut Hackl das Basislager. "Menschen schauen" nennen sie ihren kleinen Ausflug. Nach eineinhalb Stunden erreichen Helmut und Christian "Gorak Shep", eine Miniansiedlung menschlichen Lebens mit gerade zwei windschiefen Unterkünften für Trekker. Dieter sprintet im Eiltempo noch weiter bis nach "Upper" Lobuche ins etwas feudalere "8000 Inn". Einmal wieder eine Nacht lang das Gefühl haben, man könne aus dem Bett fallen, einmal wieder für ein paar Stunden an einem warmen Ofen sitzen, endlich wieder einmal ein Bier trinken. Die Bedürfnisse sind komplett unterschiedlich.
Aber es geht nur darum, jeden leisen Anflug von schlechter Stimmung zu bekämpfen. Alle Expeditionsteilnehmer befinden sich zurzeit gesundheitlich wohlauf. Einzig der Höhenhusten macht uns etwas zu schaffen. Dieser Husten ist aber nichts Ungewöhnliches und rührt von der herrschenden Kälte und dem starken Wind her. Diese sturmartigen Böen und vor allem der Schneefall hindern uns allerdings im Moment am weiteren Aufstieg. Nichtsdestotrotz haben sich Peter Guggemos und Uwe Zürner auf den Weg zum Lager II gemacht. Der Rest der Expedition wartet im Basislager auf das Ende dieser Schlechtwetterphasen, die erfahrungsgemäß meist nur von kurzer Dauer sind. Für Dieter Porsche und Helmut Hackl hat diese Zeit des Wartens aber auch ihre guten Seiten. Die beiden, die als Erste der Expedition bereits bis Lager III aufgestiegen sind, können sich von den Strapazen erholen und wieder Energie tanken. Denn der Anstieg durch das Blankeis und das damit verbundene Freischlagen von Tritten waren äußerst anstrengend und haben viel Kraft gekostet. Jetzt ist für die beiden erst mal Erholung angesagt. Wenn das Wetter mitspielt, dann wollen wir den Vollmond am 8. Mai für den Gipfelanstieg nutzen.

25. April 2001

Basislager: Wie ausgestorben

Das Basislager wirkt wie ausgestorben. Kein geschäftiges Treiben rund um die Zelte, die Sprachvielfalt am Fuß des höchsten Berges der Erde ist plötzlich so gut wie verstummt. Viele Expeditionen haben ihre Akklimatisierungsphase so gut wie abgeschlossen.
Und nun geschieht in der Zeltstadt etwas Merkwürdiges. Es beginnt die stille Zeit des Wartens. Warten auf den Tag der Tage, warten auf stabiles Wetter, warten auf ein Ende der brutalen Höhenstürme, warten auf das Signal der eigenen inneren Uhr. Doch es ist keine gespannte Ruhe, die nun im Basislager herrscht. Es ist einfach niemand mehr da. Als Dieter Porsche, Helmut Hackl und Christian Rottenegger am Mittag von ihrem kleinen Ausflug zurückkehren, wundern sie sich über die fast schon gespenstische Ruhe. Nur vereinzelt werkeln noch ein paar Sherpas, hier und da streckt im zunehmend dichteren Schneetreiben sogar noch ein Bergsteiger seinen Kopf aus dem Zelt, doch viele sind talaufwärts gewandert.
Sie alle suchen Abwechslung und noch mehr ein wenig Bequemlichkeit. Zwei, teilweise sogar drei Tagesetappen ziehen die Kletterer hinaus in tiefere und vor allem wärmere Gefilde. Von nun an ist die Besteigung des Daches der Welt vor allem auch eine Kopfsache. Peter Guggemos und Uwe Zürner sind irgendwo auf dem Weg Richtung Lager III in der Lhotseflanke. Doch aufgrund der schwierigen Witterungslage gibt es keinen Funkkontakt. Es bleibt in diesen Stunden nur die Hoffnung, dass oben am Berg alles in Ordnung ist.

26. April 2001

Basislager: Ein scharfes Messer

Man kann sich die besonderen Tage am Fuß des Mount Everest auch "basteln". Dazu gehört ein scharfes Messer, ein Stück Speck, ein Stück Käse, ein Sack voll Südtiroler "Schüttelbrot". Perfekt. Mehr braucht es nicht. Nun ja, vielleicht noch einen "Dummen", der sich erbarmt für die gierigen Mäuler zwei Stunden lang Speck aufzuschneiden. Das sind die schönen Stunden in dieser so unwirtlichen und im Grunde menschenfeindlichen Welt. Wenn sich auf und unter der Zunge der Begriff "Heimat" in Form von Geschmack verbreitet. Diese kleine Gaumenfreude, dieser feine Kitzel im Mund - man glaubt es kaum - kann fast Wunder in Sachen Stimmung bewirken. Die meisten Witze sind erzählt, viele sogar schon zweimal, die Spannung scheint bisweilen in Nervosität umzuschlagen. Da muss einfach einmal etwas anderes her, als ein flotter Spruch. Unterdessen haben Dieter Porsche und Helmut Hackl wieder einmal ihre Rucksäcke gepackt. Sie wollen am Freitag versuchen in eine Höhe vorzudringen, in der in dieser Frühjahrssaison noch niemand gewesen ist. Der Plan ist, vom Basislager in Lager II aufzusteigen und dort zu übernachten. Am Tag darauf wollen die beiden sogar das Lager III überspringen und direkt über die 1500 Meter hohe Lhotseflanke bis in den berüchtigten und sturmumtosten Südsattel vordringen. Wenn das gelänge, wäre nicht nur ein kühner Plan verwirklicht, sondern dann hätten Helmut und Dieter die Phase des Akklimatisierens ebenfalls abgeschlossen. Mit dem einen Unterschied, dass sie in einer Höhe gewesen wären, wie kaum ein anderer Bergsteiger in dieser Saison sie in diesem frühen Stadium erreicht hat.

27. April 2001

Basislager: Abwarten und Tee trinken!

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben! Der kühne Plan, sehr früh in der Saison, nämlich schon Ende April, den Südsattel zu erreichen, musste von den Bergsteigern der Everest-Expedition 2001 kurzfristig verschoben werden. Vor allem die noch nicht genügend weit vorangeschrittenen Arbeiten an der Lhotseflanke sind dafür der entscheidende Grund gewesen. Und so sitzen Dieter Porsche, Helmut Hackl und auch Christian Rottenegger einen weiteren Tag im Basislager, während Peter Guggemos und Uwe Zürner von Lager II nach Lager III aufsteigen. Für die Kletterer ist es nicht einfach, auf gepackten Rucksäcken und mit scharrenden Füssen dasitzen zu müssen. Keine Frage, das ist ein klarer Fall für Phrem, unseren Koch. Wie schon so oft. "Abwarten und Tee trinken" heißt wieder einmal die Tageslosung.

28. April 2001

Aufstieg vom Basislager zum Hochlager II und III: Wer steckt wo?

Südsattel heißt das Ziel. Endlich. Das mühsame Warten des Vortages hat die Spannung auf eine ganz entscheidende Phase der geplanten Everestbesteigung noch erhöht. 3:30 Uhr aufstehen, anziehen, mühsam in die Hightech Bergstiefel steigen.
3:45 Uhr Frühstück im großen Zelt. Mühsam ein paar Bissen hinunterwürgen. Vier Uhr Start. Eine knappe halbe Stunde bis zum Eisbruch und dann ist alles wie immer. Hinein in den Khumbu -Eisbruch, über die Leitern und die steilen Aufschwünge hinauf. Wieder haben die emsigen Sherpas, ohne die eine Everestbesteigung nur unter unendlich viel mehr Schwierigkeiten und Mühen möglich wäre, den Wegverlauf geändert.
Weit oben zieht sich das Eis langsam zurück. Den Zelten in Lager I schenken die Bergsteiger inzwischen kaum noch einen Blick. Es geht direkt weiter zum Lager II. Dieter Porsche und Helmut Hack sind bester Dinge, als sie in ihre Schlafsäcke sinken. Morgen gilt es, vom Lager II direkt in den Südsattel aufzusteigen. Christian Rottender hat das Lager III im Visier. Er will morgen dortbleiben. Im Lager II begegnen sich Dieter und Peter Guggemos, der vom Lager III direkt hinunter ins Basislager absteigt. Uwe Zürner folgt ihm mit Abstand und bleibt noch eine Nacht in Lager II. Kein Zweifel, die Auf- und Abstiegslogistik wird immer komplizierter. Man muss schon genau aufpassen, um am Abend zu wissen, wer gerade wo ist. Der Funk mit dem Basislager bringt jedoch um 17 Uhr meist schnell Aufschluss.

29. April 2001

Vom Lager II über III zum Südsattel: Deutscher Teilerfolg am Everest

Es gibt Tage an diesem Berg, an dem geschehen Dinge, die fast niemand glauben mag. Es beginnt alles völlig normal, sofern man die Maßstäbe des höchsten Berges der Erde zugrunde legt. Dieter Porsche, Helmut Hack und Christian Rottender schälen sich um drei Uhr aus ihren Schlafsäcken.
Derweil liegt Uwe Zürner im Zelt nebenan noch im seligen Tiefschlaf. In der Dunkelheit, nur im engen Schein der Stirnlampen machen sich die Drei eine Stunde später auf den Weg. Zwei Stunden bis zum Einstieg in die steile Flanke des Lhotse, jenem 8501 Meter hohen, stolzen Nachbarn des Mount Everest. 45 Grad steil reckt sich diese steile, eisige und abweisende Flanke himmelwärts. Sie ist schon im unteren Teil vereist, sodass an ein Weiterkommen ohne Steigeisen gar nicht zu denken ist. Endlich einmal stimmt die Gerüchteküche im Basislager: Der gesamte Wegverlauf in der schweren Flanke ist inzwischen mit Fixesten versichert. Der immerwährende Wind, mit seinen eisigen Böen, erschwert das Vorankommen.
Die Kälte kriecht unaufhaltsam durch die Fasern der Bekleidung und ganz langsam, schleichend werden die Finger in den dicken Daunenhandschuhen kalt. Es kostet unendliche Überwindung in dieser Kälte, den Rucksack herunter und die Kamera herauszunehmen. Nicht einmal die ersten Sonnenstrahlen sind eine Garantie dafür, dass man ein vernünftiges und brauchbares Foto erhält. Zum Glück funktionieren die zweite digitale und auch die analoge Kamera einwandfrei. Wie an anderer Stelle erwähnt war eine digitale Kamera bereits vor ein paar Tagen die Lhotseflanke hinuntergestürzt. Im Lager III bleibt Christian zurück. Müde aber glücklich, diesen Punkt nach seiner schweren Hustenerkrankung überhaupt erreicht zu haben, lässt er sich ins Zelt fallen. Alles Gute für den weiteren Aufstieg presst er noch heraus und schon sinkt er in Tiefschlaf. Dieter und Helmut ziehen weiter hinauf, immer in Richtung des markanten Sattels, der den Everest in einer Höhe von knapp 8000 Metern vom Lhotse trennt. Großes kombiniertes Gelände in Eis und Fels, so steil, dass Kletterer und Sherpas gleichermaßen langsam vorankommen.
Zwei Schritte, rasten, zwei Schritte, rasten - ein Schnecke hätte kaum Mühe, da zu überholen. Aber es geht voran. Bis, ja bis passiert, was später kaum und wenn, dann nur unter Lachen zu erklären ist. Auf der Höhe des markanten Gelben Bandes, kehrt Helmut um. Ein schier endloser Niesanfall lähmt seine Kräfte und sorgt überdies für grenzenlose Überraschung. Was ist das? Immer neue Niessalven beuteln den Körper des urigen Bayern. Auf 7700 Meter dreht er um. Die Augen von den Anfällen tränengefüllt, die Nase ein einziger Niagarafall, steigt er ab. 13 Stunden (!) nach dem Start an diesem Morgen, erreicht er das Basislager. Wie einsam es trotz des Betriebes an diesem Berg zugeht, beweist allein die Tatsache, dass Dieter lange braucht, um überhaupt zu bemerken, dass Helmut ihm nicht mehr folgt, sondern absteigt. Doch auch das ist am Everest normal. Bei aller Freundschaft ist am Ende jeder auf sich gestellt und handelt komplett eigenverantwortlich. Dieter zieht seine Spur weiter hinauf. Nur ein paar Sherpas sind noch hinter ihm. Sie tragen Material in den Südsattel. Unaufhörlich kriecht Dieter mittlerweile die Kälte unter die Bekleidung. Doch der überaus erfahrene Achttausender-Mann (sechs erfolgreiche Besteigungen im Himalaja und Karakorum) weiß genau, wie weit er gehen und was er seinem Körper zumuten kann. Er gibt erst auf, als die Alarmglocken schrillen. Gegen Mittag, in einer Höhe von 7800 Metern, knapp 200 Höhenmeter unter dem ersehnten Sattel, wendet auch er dem Berg den Rücken zu. Die eisigen Winde, die vor keinem Material der Welt Halt machen, sind inzwischen auch durch Überschuhe, Innenschuhe und Socken gedrungen. Die Zehen werden kalt. Und das ist für jeden Höhenbergsteiger der Gräuel schlechthin. Dann werden die furchtbaren Bilder von schwarzen, erfrorenen Zehen wach. Leichten Herzens beginnt Dieter den Abstieg. Kein Berg der Welt ist ihm auch nur eine Zehe wert. Stunden später erreicht er Lager II. Das hatte am Morgen schon Uwe Zürner verlassen und war zu den Basislager-Zelten abgestiegen. Der Tag geht mit einem entscheidenden Teilerfolg zu Ende. Dass er von einer Katastrophe überschattet werden sollte, konnte zu diesem Zeitpunkt niemand ahnen.

30. April 2001

Abstieg vom Lager II zum Basislager: Trauer im Basislager

Am Sonntag, den 29. April 2001 ereignete sich an den Flanken des Mt. Everest ein Unfall. "Babu" Chiri, einer der erfolgreichsten Klettersherpas aller Zeiten, kam bei einem Spaltensturz ums Leben.
Er war Mitglied einer US-amerikanisch-nepalischen Expedition. Während im Basislager traurige Stille herrschte, kamen Dieter Porsche und Christian Rottenegger wohlbehalten von ihren Aufstiegen zurück.

01. Mai 2001

Basislager: Eine Frage der Moral?

Nach wie vor ist die Betroffenheit über den Tod des weltbekannten Sherpa Babu Chiri im Basislager des Mount Everest groß. Am Morgen wurden die sterblichen Überreste des zehnmaligen Everestbesteigers von einem Helikopter in die nepalische Hauptstadt Kathmandu geflogen. Dort wird er in der Sherpa-Gompa von Bodnath aufgebahrt, bevor sein Leichnam am Donnerstag im buddhistisch-hinduistischen Heiligtum von Swayambunath im traditionellen Ritual verbrannt wird. Derweil wurden im Basislager die ewigen Diskussionen um die grundsätzliche Sinnhaftigkeit einer Bergbesteigung überhaupt und insbesondere in einer solchen Situation entfacht. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Besteigungsversuche schon in wenigen Tagen fortgesetzt werden.
Babu Chiris Bruder, der zu den Trauerfeierlichkeiten nach Kathmandu geflogen ist, wird in ein paar Tagen zurückkehren und die Arbeit seines Bruders als Expeditionsleiter einer US-amerikanisch-nepalesischen Gruppe übernehmen. Und es scheint dies weniger eine Frage der Moral zu sein, als vielmehr der Überlegung, wem es nützen würde, wenn nun annähernd 300 Bergsteiger ihre Bemühungen einstellen würden. Babu Chiri war ein überaus erfahrener Höhenbergsteiger. Und immer mehr macht sich die Überlegung breit, dass auch er in den vergangenen Jahren, in denen der Everest stets auch seine Opfer gefordert hat, nie aufgegeben hat. Und so haben sämtliche Expeditionen längst beschlossen, dass nach einer Zeit des Innehaltens vor diesem großen Bergsteiger, die Arbeit am Berg weitergehen wird.

02. Mai 2001

Basislager: Müll, das große Problem?

Es sei schön, dass die "ganze Familie" einmal wieder im Basislager versammelt sei, sagt Peter Guggemos, der Expeditionsleiter der deutschen Everest-Expedition 2001, als er seine "Schäfchen" nach vielen Tagen zum ersten Mal wieder vollständig im Basislager versammelt hatte. Immer wieder im Laufe eines Tages stellt sich Besuch ein. Diesmal kam er schon am frühen Morgen. Kein Geringerer als Ang Phurba Sherpa, eine wahre Himalajalegende, der 1979 mit einer japanischen Expedition den Everest bestieg, leistete der deutschen Expedition eine Stunde Gesellschaft. Wo er auch auftaucht, ist der Grund des Besuchs rasch klar. Ang Phurba ist einer der führenden Männer in der "Nepal Mountaineering Association", die es sich unter anderem zum Ziel gesetzt hat, den Everest "sauber" zu machen. Und so wird es auch in diesem Jahr wieder entsprechende Aktivitäten geben. Im Vorjahr holten die Sherpas der einzelnen Expeditionen vier Tonnen Müll vom Südsattel auf knapp 8000 Meter Höhe herunter und 632 leere Sauerstoffflaschen, die von den Bergsteigern früherer Jahre dort achtlos zurückgelassen worden waren. Der Südsattel ist nach wie vor als "die größte Müllhalde der Erde" bekannt. Von diesem Image soll der beeindruckende Ort wegkommen. Ang Phurba vermutet nun nur noch rund 200 leere Flaschen auf dem Expeditionsspuren komplett befreit werden kann, bezweifelt selbst ein engagierter Mann wie Ang Phurba. Von immer größerer Bedeutung sind inzwischen die Wettervorhersagen. Quellen gibt es die unterschiedlichsten. Eine der US-amerikanischen Expeditionen bezieht ihre Informationen aus Schweden. Die deutsche Expedition hat das außerordentliche Glück auf die Wetterprognosen des Wetterdienstes Innsbruck/Tirol zurückgreifen zu können. Seit einigen Jahren bereits verbindet Expeditionsleiter Peter Guggemos und den Innsbrucker "Wetterprofessor" Dr. Karl Gabel ein gutes Verhältnis. Gabel, der auf eine erfolgreiche Cho Oyu-Besteigung zurückblicken kann, wird die deutsche Expedition in den nächsten Tagen vor allem über die Entwicklung des Windes informieren, der in den Gipfellagen des Everest von entscheidender Bedeutung ist. Aber auch die allgemeine Großwetterlage wird Gabel nun regelmäßig übermitteln. Derzeit sind die Prognosen nicht sonderlich günstig. Selbst in den tiefen Lagen des Basecamps herrscht ein Wetter wie im europäischen April. Sonnenschein, Schnee, Nebel, Regen und Graupelschauer wechseln sich im Laufe des Tages stetig ab. Und in den Höhen toben weiterhin die brutalen Stürme mit Geschwindigkeiten von teilweise über 100 Stundenkilometern. Bei solchen Verhältnissen ist an eine Besteigung nicht zu denken. Das große Warten hat begonnen. Und der erhoffte Termin des Vollmonds am 8. Mai rückt zwar immer näher und doch in immer weitere Ferne.

03. Mai 2001

Basislager: Anatolis Vermächtnis

Es kommt so langsam wieder Leben in das Basislager. Man sollte es kaum für möglich halten, wie viele Bergsteiger in den vergangenen acht Tagen das Basecamp am Fuß des Mount Everest verlassen und sich in wärmere Gefilde begeben haben. Dabei ist durch nichts und von niemandem bewiesen, dass das tatsächlich zu einer Verbesserung des allgemeinen Zustandes der Bergsteiger beiträgt. 1996, in den Tagen vor der großen Katastrophe, war der bekannte kasachische Bergsteiger Anatoli Bukreev immer mal wieder talwärts gewandert, um etwas anderes zu essen, andere Menschen zu treffen und mal für zwei, drei Nächte in einem Bett und nicht immer in einem Zelt zu schlafen. In der Folge publizierte der US-amerikanische Journalist Jon Krakauer diese "Taktik" in seinem Bestseller "Into tin air" (In eisige Höhen) in millionenfacher Auflage und weltweit. Krakauers Sicht der Everest-Dinge ist heute Pflichtliteratur und viele Kletterer schwören heute Stein und Bein, dass die Taktik des großen Anatoli, der 1997 an der Annapurna tödlich verunglückte, die Chancen auf den Everestgipfel wesentlich erhöhen, könnten. Nun kommen sie alle tröpfchenweise wieder. Aus Tengboche und Dingboche, aus Lobuche und aus der "Pyramide". Allen Ortes und Unterkünfte, die ein Stück Himalajamusik in den Ohren derer sind, die schon einmal in Solu-Khumbu gewesen sind. Ob und wem es was genutzt hat, das wird sich zeigen. Vor den Zelten werden Steigeisen angefeilt, wird ein letztes Mal Material getestet und werden die körperlichen Reserven wieder aufgetankt. Manchmal, wenn man ganz genau hinhört, kann man fast schon das Scharren der schweren Bergschuhe hören. Und an der Lautstärke, mit der bei manchen Expeditionen die Diskussionen geführt werden, lässt sich auch leicht ermessen, dass Warten etwas durchaus Nerviges sein kann.

04. Mai 2001

Basislager: Wetterkapriolen

Es schneit! Es schneit um 6 Uhr und es schneit um 7 Uhr. Es schneit auch um 8 Uhr noch und selbst um 11 Uhr hat es noch immer nicht aufgehört. Es ist nicht viel, was da vom Himmel herunterkommt. Doch es genügt, um die hässlich-graue Gletschermoräne in ein ansehnliches Wintergewand zu kleiden und die Flanken des Everest mit 40 Zentimeter Neuschnee zu versorgen. Es dauert, ehe der düstere Wolkenvorhang sich hebt. Doch dann geht alles ganz schnell. Binnen Minuten bricht die Sonne durch. Und dann geschieht etwas, das jeden Außenstehenden zum Lachen bringen würde. Daunenjacken fliegen, dicke Überhosen werden von den Leibern gerissen, Pullover landen über Stühlen. In den Zelten ist es innerhalb weniger Minuten nicht mehr auszuhalten und ohne Sonnenbrille kann man draußen absolut nichts mehr sehen. Eben noch Wintereinbruch, jetzt Frühlingserwachen, gerade noch null Grad und darunter, jetzt sicherlich 30 Grad Hitze. Auch das ist der Everest. Der Khumbu-Eisfall wird sichtbar und mit ihm - aufgereiht wie an einer Perlenschnur - eine ganze Reihe von Sherpa. Sie scheinen kein Wetter zu kennen, keine Kälte und keine Hitze, sie haben einen Job angenommen und nun machen sie ihn, komme, was da wolle. Das mögen viele Außenstehende als Ausbeutung empfinden. Doch so ist es eben nicht. Die Klettersherpas sind von der Richtigkeit ihres Tuns inmitten einer im Grunde so unsinnigen Handlung wie dem Bergsteigen so felsenfest überzeugt, dass sie nicht einmal Widerspruch dulden. Das Gastspiel der Sonne ist von kurzer Dauer. Es reicht nicht einmal aus, um den Schnee wegzuschmelzen oder die nassen Schuhe der Sherpas zu trocknen, geschweige denn die notwendige Energie für Telefon und Computer aus der Solaranlage zu ziehen. Der Himmel bleibt milchig, die Luft kalt, die Kleidung wird wieder zusammengesucht und angezogen. Die Endstation heißt Schlafsack.

05. Mai 2001

Basislager: Vom Winde verweht

Es bläst. Es bläst um 6 Uhr und es bläst um 7 Uhr. Es bläst auch um 8 Uhr noch und selbst um 11 Uhr hat sich der Sturm noch nicht gelegt. Der Wind fegt mit eisiger Hand über das Basislager.
Es kostet Mühe und Überwindung, überhaupt aus dem Zelt heraus zu kriechen. Die Stangen der vielen kleinen orangefarbenen Behausungen werden strapaziert. Und irgendwann zerreißt es die Plane eines unserer Sherpazelte. Zum Glück haben alle Expeditionen genügend Zelte dabei. Das Esszelt beugt sich bedrohlich den Kräften der Natur. Und es ist kein Ende abzusehen. Die Wolken fetzen am Himmel entlang. Eine Richtung, aus der sie kommen oder in die sie ziehen, ist kaum auszumachen, so schnell dreht sich ständig alles über dem Lager. Das, was uns für die Höhe prophezeit war, haben wir nun hier unten. Abgeschwächt zwar, aber immerhin. Der Wetterbericht hat es praktisch genauso vorhergesagt. Starker Wind, Stürme, kaum mehr Niederschläge. Die Prognosen der Meteorologen aus aller Welt sind in diesen Tagen so begehrt wie ein gutes Stück Schwarzbrot aus einer verbeulten Blechdose. Die Vorhersagen sind nicht die Schlechtesten. Der Wind, so heißt es in den Bulletins aus Innsbruck, Stockholm und sonst wo her, soll nachlassen. Um 60 Prozent. Das ist viel, wenn man bedenkt, dass der Sturm derzeit mit über 100 Stundenkilometern über den Everestgipfel rast. Das würde bedeuten, dass sich der Wind auf ein "erträgliches" Maß abschwächt und eine Besteigung des Mount Everest schon in den nächsten Tagen in greifbare Nähe rücken könnte. Dieter Porsche, Peter Guggemos, Helmut Hackl, Christian Rottenegger und Uwe Zürner - alle Mitglieder der deutschen Everest-Expedition 2001 - sitzen praktisch in den Startlöchern. Sie sind überwiegend sehr gut vorbereitet und sind bereit, die erste, sich bietende Gelegenheit zu nutzen. Denn an Gelegenheiten ist der Everest nicht gerade reich gesegnet. Der Montag war ursprünglich ins Auge gefasst worden, in Richtung Hochlager II aufzubrechen. Nun könnte es aufgrund der außerordentlichen Winde vielleicht erst der Dienstag werden. Der Zeitplan würde demnach folgendermaßen aussehen: Dienstag (08.05.) Lager II, Mittwoch (09.05.) Lager III, Donnerstag (10.05.) Südsattel/Lager IV, Freitag (11.05.) Gipfeltag. Die Besteigung des Everest ist minutiös geplant. Nichts, aber auch gar nichts wurde dem Zufall überlassen. Die Vorbereitung ist bis auf die Hustenerkrankungen einzelner Expeditionsmitglieder eigentlich optimal verlaufen. Die Zeit bis zum Aufbruch jedoch ist nun ein reines Geduldsspiel. Und um am Ende den ganz großen Wurf zum Gipfel zu landen, braucht es schließlich auch eine gewaltige Portion Glück.

06. Mai 2001

Basislager: Morgen, vielleicht morgen!

Es gibt Tage, an denen gehen selbst im Basislager der Stoff für Klatsch, Tratsch und sogar die ernsthaften Gespräche aus. Nicht dass die Spannung raus wäre, nein, ganz im Gegenteil, aufmerksame Beobachter wollen sie sogar knistern gehört haben. Vielleicht ist das ja der Grund, dass kaum noch etwas durchsickert. Keine Expedition will sich jetzt noch in die Karten schauen lassen. Alle hoffen auf stabileres Wetter. Und tatsächlich, der Tag beginnt über dem Basislager mit strahlendem Sonnenschein und sogar erträglich warmen Temperaturen. Doch der "Spuk" ist schnell vorbei. Schon vor Mittag trübt es sich wieder ein, leichter Wind kommt auf und am Nachmittag beginnt es bei ungemütlicher Kälte, zu schneien. Zelt, Schlafsack, Bettlektüre. Ende der Veranstaltung. Die deutsche Everest-Expedition 2001 ist froh, nicht den Sonntag als Starttag gewählt zu haben. Und sie wird auch noch den Montag verstreichen lassen. Die Zeit ist noch nicht reif.

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