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Beitragsseiten

Mount Everest (8850 m) Tagebuch 2001

26. März 2001

Flug nach Kathmandu

Gegen 15 Uhr landen wir in Kathmandu und es erwartet uns schönes warmes Wetter. Nach einem kurzen Aufenthalt im Flughafen werden wir zum Hotel Vaishali in Thamel, ein Ortsteil von Kathmandu gebracht.
Nach dem anstrengenden Flug ließen wir den Tag nach dem Abendessen recht schnell ausklingen.

27. März 2001

Stadtbesichtigung

Heute steht eine Stadtbesichtigung auf dem Programm. Folgende Sehenswürdigkeiten besichtigen wir:

Swayambhunath – Stupa

Swayambhunath ist ein Tempelkomplex, der im Westen von Kathmandu auf einem Hügel erbaut ist. Das beherrschende Element der Tempelanlage ist der buddhistische Stupa, der von Kathmandu aus betrachtet gut sichtbar von zwei hinduistischen Türmen flankiert wird. Wie an vielen anderen Orten in Kathmandu sind auch in Swayambhunath buddhistische wie hinduistische Heiligenstätten eng verzahnt.
Swayambhunath gilt neben Borobudur auf Java in Indonesien als eine der ältesten buddhistischen Tempelanlagen der Welt. Die inneren Bauten werden auf ca. 2500 Jahre geschätzt, die weiteren Umbauungen erfolgten später. Der Sage nach ist Swayambhunath eng mit der Entstehung des Kathmandu-Tals verknüpft.
Am Fuße der Hügel befindet sich eine Steinplatte mit den Fußabdrücken Buddhas. Von dort führt eine Treppe mit 365 Stufen, flankiert von bunten Figuren und Manisteinen, zur Tempelanlage.
Aufgrund der großen dort lebenden Affenpopulation wird Swayambhunath auch „Tempel der Affen" genannt.

Legende von Swayambhunath

Einst war das ganze Tal von Kathmandu ein großer See. Eines Tages entdeckten Sadhus eine Lotosblüte auf der Oberfläche des Sees. Über Jahrhunderte pilgerten Gläubige an die Ufer des Sees und verehrten die Lotosblüte als Symbol Gottes. Eines Tages stieg eine leuchtende Flamme aus dem Lotoskelch, Swayambhunath entstand oder besser gesagt erschuf sich selbst - so sagt es sein Name: Der aus sich selbst erstandene Gott. Die Manifestation des Buddha leuchtete noch viele weitere Epochen, bis ein Bodhisattva aus China nach dreimaliger Umrundung des Sees eine Schlucht in die südliche Hügelkette schlug und mit dem Abfluss des Wassers auch die Flamme verschwand. Die blau leuchtende Lotosblume pflanzte er auf den Hügel von Swayambhunath.

Quelle: wikipedia.de

Pashupatinath (Pashupati)

Pashupatinath bei Kathmandu in Nepal ist eine der wichtigsten Tempelstätten des Hinduismus.
Hier wird Shiva als Pashupati (Gott des Lebens - 'Pashu'='Leben') verehrt. Die Tempelanlage liegt am heiligen Fluss Bagmati, etwa sechs Kilometer östlich von Kathmandu. Der eigentliche Tempel ist nur für Hindus zugänglich, der äußere Tempelbezirk darf hingegen von jedermann betreten werden. Es wird vermutet, dass hier schon in vorchristlicher Zeit eine heilige Stätte bestand. Der Pashupati-Tempel wurde erstmals im 5. Jahrhundert errichtet und dann unter der Malla-Dynastie erneuert, er bildet eine Pagode mit zwei Dachebenen, die mit vergoldetem Kupfer bedeckt sind. Die vier Eingangstüren sind mit Silberplatten bekleidet. Im Inneren des Tempels befindet sich eine Statue von Shiva, die etwa 1,80 Meter hoch ist und einen Durchmesser von etwa 1,10 Meter hat. Sie darf lediglich von vier Priestern berührt werden, die immer aus dem Süden Indiens stammen müssen.
Für viele Shivaiten gehört der Tempel zu den wichtigsten Verehrungsstätten Shivas, den Jyotirlingas. Tausende von Hindus, die von weither anreisen, feiern hier jedes Jahr im Frühjahr das Fest Shivaratri.
Der Bagmati teilt die Anlage in zwei große Bereiche. Am linken Ufer des Bagmati liegen der Pashupatinath-Tempel und die Verbrennungsstätten, die Arya Ghats (Verbrennungsstätten der höheren Kasten) und die Surya Ghats (Verbrennungsstätten der niederen Kasten). Dieser Ort hat für viele Gläubige als Platz für die 'letzten Riten' besondere Bedeutung, es gilt als erstrebenswert, seine Leiche hier verbrennen zu lassen.
Die meist in gelbe Tücher gehüllte Leiche wird zu den Verbrennungsstätten getragen, wo ein Scheiterhaufen errichtet wird. Vor der Verbrennung bespritzt man die Leiche mit dem Wasser des heiligen Flusses oder wäscht die Füße im Wasser. Die Leiche wird dann von oben mit feuchtem Stroh bedeckt. Wenn die Familie es sich leisten kann, verwendet man zur Verbrennung neben normalem Holz zusätzlich das kostbare, duftende Sandelholz. Der älteste Sohn umschreitet dann den Scheiterhaufen fünfmal im Uhrzeigersinn, entsprechend der heiligen Zahl fünf, die im Hinduismus die fünf Elemente Erde, Wasser, Feuer, Wind und Akasha, den Äther, repräsentiert. Danach zündet er (ersatzweise die älteste Tochter oder ein Priester) mit einem mit Butter getränkten Strohbüschel den Scheiterhaufen an, das er dazu in den Mund des Toten steckt. Die Beine des Toten stehen zunächst etwas über den Scheiterhaufen hinaus und werden dann bei fortschreitender Verbrennung auf den Holzstapel geklappt. Nach etwa vier Stunden ist die Leiche zu Asche verbrannt, die in den Fluss geschüttet wird.

Das Heiligtum wurde mit den anderen Sehenswürdigkeiten des Kathmandutals als Weltkulturerbe der UNESCO klassifiziert.

Quelle: wikipedia.de

Stupa von Bodnath

Bodnath ist ein Vorort im Nordosten von Kathmandu in Nepal.
Bekannt ist Bodnath wegen des großen Stupas, der seit Jahrhunderten eines der bedeutendsten Ziele buddhistischer Pilger aus Nepal und den umliegenden Regionen des Himalayas ist. Die Gründung geht zurück auf die Licchavi im 5. Jahrh. nach Christus. Mit einer Höhe von 36 m gehört der Stupa zu den größten seiner Art.
Buddhisten finden sich vor allem im Morgengrauen und zur Abenddämmerung bei dem Bauwerk ein, um es im Uhrzeigersinn zu umrunden. In Vollmondnächten werden zigtausende Butterlämpchen auf den Terrassen, welche den Stupa im Grundriss eines Mandalas umgeben, entzündet. Einmal pro Jahr wird der halbkugelförmige Bau neu geweißt und zum Neujahrsfest Losar werden die safranfarbenen Bögen erneuert.
Das buddhistische Heiligtum ist knapp 40 m hoch und hat am Sockel einen Durchmesser von 100 m. Es ist der größte Stupa in Nepal und einer der größten der Welt.

Quelle: wikipedia.de

Patan und Bhaktapur

Jahrhundertelang kreuzten sich hier im Kathmandu-Tal die Handelswege zwischen China und Tibet, und es entstand eine faszinierende Synthese zwischen Buddhismus und Hinduismus.
Während der fast sechshundertjährigen Herrschaft der Malla-Könige erlebte das Kathmandu-Tal eine beispiellose Blütezeit. Im 15. Jahrhundert teilte der damalige König Jaksha Malla sein Reich in drei Stadtkönigreiche auf: Kathmandu, Patan und Bhaktapur - für jeden der drei Söhne ein eigenes Reich. Die strategische Lage im Kathmandu-Tal machte die drei Siedlungszentren wohlhabend. Die prachtvolle Palastarchitektur entstand in jener goldenen Zeit.
Um die Gunst ihrer hinduistischen Götter auf sich zu ziehen, versuchten die drei Könige, sich gegenseitig zu übertrumpfen - mit dem Bau von immer höheren und schöneren Pagoden. Der Wettbewerb führte am Ende zum Niedergang der Dynastie. Übrig blieben die Götter und Legenden - und drei faszinierende Königsstädte.

Patan - Stadt der Schönheit

In allen drei Städten liegt der königliche Palast (Durbar) am zentralen Platz, dem Durbar Square. Die kleinen Tempel auf den Plätzen werden noch immer genutzt, und die Denkmäler erinnern an die wichtigsten Könige. Kathmandu mag die bekannteste der Königsstädte sein, aber Patan ist die übersichtlichste. Patan, auch Lalitpur oder ‚Stadt der Schönheit' genannt, ist von Kathmandu nur durch den Bagmati- Fluss getrennt und die zweitgrößte Stadt Nepals. Von Kathmandu aus ist Patan leicht mit dem Taxi, öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Fahrrad zu erreichen. An der Westseite des Platzes findet man einige prächtige Tempel. Der Königspalast mit seinen Innenhöfen liegt an der Ostseite des Platzes. Hier steht auch die sechs Meter hohe Säule des Königs Yoganarendra Malla. Der König kniet unter dem Kopf einer Kobra und richtet seinen Blick auf den Palast.
Nyatapola, der ‚Tempel der fünf Dächer'. Steinerne Wächter in Form von Elefanten und Löwen bewachen die Ränder der steilen Treppen, die zum Tempel führen. Am Fuß der Treppe stehen zwei Denkmäler von den Ringkämpfern Jayer Malla und Patta, die übermenschlichen Kräfte besessen haben sollen. Am Töpferplatz kann man die Nepalesen bei der Arbeit beobachten: Die Männer töpfern, und die Frauen bringen die Gravuren an und drehen die Gefäße regelmäßig, damit die Sonne sie trocknen kann. In Bhaktapur haben sich kulturelle Traditionen und Rituale bewahrt: wie zum Beispiel „Bisket Jatra", das Neujahrsfest. Oberstadt und Unterstadt treten gegeneinander an und versuchen den Prozessionswagen, eine Nachbildung eines längst verfallenen Tempels, in den eigenen Stadtteil zu ziehen. Zum Neujahrsfest ist die ganze Stadt auf den Beinen.

Quelle: djoser.de

28. März 2001

Besichtigung des Shaligram Kinderhaus

Am Vormittag versah ich meine 270 Postkarten an Freude, Geschäftspartner und Sponsoren mit Briefmarken und habe sie anschließend zum Postamt gebracht. Damit diese dann auch wirklich von Kathmandu verschickt werden, bin ich so lange auf dem Postamt geblieben, bis alle Karten von Hand gestempelt waren. Gegen Mittag bin ich zum neuen Shaligram - Kinderhaus von der Nepalhilfe Beilngries gefahren.
Das Haus ist in Lhubu (10 km außerhalb von Kathmandu). Die 19 Kinder, die in diesem Haus wohnen, sind Halbweisen oder Straßenkinder. Nun haben sie, nach meiner Meinung, ein wunderschönes neues Zuhause. Mehrere Volontärinnen aus Deutschland betreuen die Kinder hier. Sie opfern ihren Urlaub für dieses Projekt und machen diese Tätigkeit ehrenamtlich. Ich wurde durch das Haus geführt und konnte mir alle Räume ansehen. Alles war sehr schön und kindergerecht eingerichtet und die Kinder fühlen sich hier sichtlich wohl. Nun übergab ich eine Spende von der Firma Multek (siehe Sponsoren) an die Leiterin des Kinderhauses. Der Betrag für diese Spende wurde im Rahmen einer Jahresabschlussfeier innerhalb der Firma von den Mitarbeitern bei einer Verlosung zusammengetragen.

29. März 2001

1. Etappe: Kathmandu - Phakding

Um 6 Uhr starten wir vom Hotel zum Flughafen, wo wir gegen 8 Uhr mit einer Twin Otter zu einem kleinen Flughafen in Phaphlu unweit von Lukla fliegen. Dort müssen wir in einen Hubschrauber umsteigen, da die Landebahn von Lukla (2840 m) derzeit gerade geteert wird und somit keine Starts und Landungen möglich sind. Der beeindruckende Hubschrauberflug war leider schon nach 10 Min. beendet.
In Lukla essen wir zuerst einmal zu Mittag, bevor wir mit dem Sortieren der Ausrüstung beginnen. Wir teilen die Ausrüstung in 2 Pakete auf. Ein Paket geht direkt ins Basislager und das andere verbleibt während des Anmarsches immer bei uns. So lässt sich zum einen der Transport einfacher bewerkstelligen und zum anderen haben wir die notwendige Ausrüstung während des Anmarsches immer griffbereit. Gerade rechtzeitig zum Abmarsch beginnt es zu regnen und alle Teilnehmer kaufen sich noch schnell einen Regenschirm. Der anfängliche leichte Regen steigert sich dann sehr schnell zu einem kräftigen Regenguss und so kommen wir nach 2 Std. durchnässt in Phakding (2610 m) an. Zum Glück gab es in der Unterkunft einen Ofen, wo wir unsere nassen Sachen wieder trocknen konnten. Nach einem guten Abendessen war dann die Stimmung der Gruppe wieder im Lot und der Regen war schnell wieder vergessen.

30. März 2001

2. Etappe: Phakding - Namche Bazar

Der neue Tag beginnt mit einem wolkenlosen Himmel und oberhalb von 3000 m waren die umliegenden Berge mit etwas Neuschnee eingezuckert.
Der Weiterweg schlängelt sich zuerst entlang des Dudh Kosuhi Flusses, der an mehreren Stellen über Hängebrücken überquert werden muss. Nach ca. 2 Std. erreichen wir den Eingang zum Sagarmatha National Park, wo wir unsere Expeditionsgenehmigung vorzeigen müssen.
Nach kurzer Zeit geht der Weg steil nach oben und wir erreichen nach weiteren 2 Std. Gehzeit den wunderschön gelegenen Ort Namche Bazar (3440 m). Hier verbringen wir die kommende Nacht.

31. März 2001

Namche Bazar (3440 m)

Bereits um 6 Uhr werden wir von den ersten Sonnenstrahlen, welche die umliegenden schneebedeckten Berge anstrahlen, geweckt.
Nach dem Frühstück machen wir uns auf den Weg zu einem nahen gelegenen Aussichtspunkt, von wo aus der Mount Everest, Lhotse, Nuptse und die Ama Dablam zu sehen sind. Die Berge haben bereits eine kleine Wolkenhaube. Anschließend besuchen wir den Wochenmarkt in Namche Bazar. Hier herrscht ein buntes Treiben und es werden alle nur erdenklichen Waren angeboten. Den Rest des Tages verbringen wir mit lesen und ausruhen. Morgen geht es dann wieder weiter in Richtung Everest Basislager.

01. April 2001

3. Etappe: Namche Bazar - Tengboche

Die heutige Etappe führt uns zuerst über Syangboche (3720 m) zum Everest View Hotel in 3800 m Höhe, von wo wir einen grandiosen Blick auf den Mount Everest (8848 m), Lhotse (8516 m) und die Ama Dablam (6814 m) haben.
Die Ama Dablam ist heute den ganzen Tag zu sehen. Bei Teshinga wird der Dudh Kosi überquert und danach geht es steil hinauf nach Tengboche (3870 m).
Als wir am Nachmittag das Kloster in Tengboche besichtigen, schneit es bereits und wir sind froh, dass wir das Tagesziel erreicht haben.

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02. April 2001

4. Etappe: Tengboche - Dingboche

Gleich nach dem Start durchwandern wir einen wunderschönen Märchenwald.
Als wir den frisch verschneiten Wald verlassen, ist die Ama Dablam wieder zu sehen.
Der Weg schlängelt sich nun entlang des Flüsschen Imja Khola und wir erreichen gegen Mittag den 4410 m hoch gelegene Ort Dingboche.

03. April 2001

5. Etappe: Dingboche - Lobuche (Pyramide)

Hinter Dingboche führt der Weg auf eine Anhöhe, von wo man einen wunderbaren Rundblick hat. Über einen Höhenweg erreicht man Dughla (4620 m).
Hier endet der Khumbu Gletscher und der Weg führt auf den Ausläufern des Gletschers steil nach oben. In 4800 m Höhe schlängelt sich der Weg entlang des Khumbu Gletschers und gibt nun den Blick auf den Aussichtsberg Kala Patthar (5620 m) und den Pumo Ri (7145 m) frei.
Hinter Lobuche (4930 m) biegen wir ab zur italienischen Forschungsstation (wegen ihres Aussehens auch Pyramide genannt). Hier befindet sich auch das Hotel 8000 INN (4970 m), in dem wir die kommende Nacht untergebracht sind. Heute stellen sich bei mehreren Teilnehmern Magenprobleme ein und so ist es noch ungewiss, wer am nächsten Tag ins Basislager mitgeht.

04. April 2001

6. Etappe: Lobuche (Pyramide) - Basislager

Bis zum Morgen haben nicht alle Teilnehmer ihre Magenprobleme überwunden und so bin ich dann der Einzige, der heute zum Basislager geht. Zuerst komme ich an Gorak Shep (5150 m) vorbei, von wo der Aufstieg zum Kala Patthar erfolgt.
Ich folge jedoch den Weg entlang des Gletschers bis zu dem Basislager in ca. 5250 m Höhe. Hier haben die Sherpas bereits mit dem Einrichten des Lagers begonnen und mehrere Plattformen für die Zelte hergerichtet. Ich stelle mein Zelt auf und richte es mir für die kommenden Tage ein. Bis zum Abend ist noch nicht die komplette Expeditionsausrüstung im Basislager eingetroffen.

05. April 2001

Basislager: Ausrüstung sortieren

Der heutige Tag steht ganz im Zeichen von Ausrüstung sortieren und das Zelt wohnlich einzurichten. Die Frage ist, wo die ganze Ausrüstung deponiert werden soll.
Ein Zelt ist da gleich zu klein und so muss ein Großteil der Ausrüstung in den Transportbehältern verbleiben. Keine leichte Aufgabe die Ausrüstungsgegenstände so zu verteilen, dass sie jederzeit wieder schnell auffindbar sind.

06. April 2001

Basislager: Energieversorgung

Weitere Ausrüstung von uns trifft im Basislager ein und ich beginne sofort mit der Installation der Solaranlage, um die Verbindung zur Außenwelt sicherzustellen.
Zum Glück wurde beim Transport nichts beschädigt, was auf einer so langen Reise nicht selbstverständlich ist. Immer neue Expeditionen treffen im Basislager ein und es entsteht so eine riesige internationale Zeltstadt mit allen negativen Erscheinungen.
Von meinen vergangenen Expeditionen her bin ich diesen Trubel im Basislager nicht gewohnt und ich bevorzuge kleine Basislager mit wenigen Bergsteigern. Aber das wird am Mount Everest ein Wunschtraum bleiben. Hier gibt es andere Spielregeln, die sonst an keinem anderen Achttausender anzutreffen sind. Aus der einen Ecke des Lagers kommt Pop Musik aus der anderen klassische Musik. Da heute das Wetter nicht so schön wie in den vorangegangenen Tagen ist, verbringen wir einen Teil des Tages im Zelt und lesen.

07. April 2001

Basislager: Hubschraubereinsatz

Am frühen Morgen hat mich das unverkennbare Schrabb-schrabb-Geräusch des Hubschraubers geweckt. In zwei großen Anflügen von draußen vom Tal herein hat der Helikopterpilot sicherlich zehn Mal versucht seine Maschine zu landen, um schließlich zwei höhenkranke US-Amerikaner auszufliegen. In der Nacht gab es einen heftigen Wind vom Khumbu-Eisbruch herunter. Durch das Flattern der Zelte wurde ich immer wieder aus dem Schlaf gerissen. Das war auch der Grund, weshalb der Helikopterpilot solche enormen Probleme hatte. Auch ein Teilnehmer unserer Expedition (Peter Schorcht) hat sich nach intensiver Beratung mit dem Arzt für die Rückreise entschieden und hat am Morgen das Basislager wieder verlassen. Am Nachmittag gab es einen weiteren Zwischenfall, der uns den Atem stocken lies: Ein Teilnehmer hat drei Mal den falschen Pin in das Satelliten-Telefon eingegeben und danach war es gesperrt. Der entsprechende Puk zum Entsperren des Telefons war aber nicht verfügbar. Was nun? Wir gingen zu einer anderen Expedition und riefen über deren Satelliten - Telefon die T-Online Inmarsat - Hotline an und baten um Hilfe. Wir konnten unsere außergewöhnliche und schwierige Lage klar machen und uns wurde unbürokratisch und schnell geholfen. Dafür möchten wir uns bei der T-Online herzlich bedanken. "Das ist Service am Kunden auch am entlegensten Ort".

08. April 2001

Basislager: Ausrüstung für den 1. Aufstieg zusammenstellen

Da wir am 10.04.2001 zum ersten Mal zum Lager I aufsteigen wollen, richte ich die Ausrüstung für den Aufstieg zusammen. Hierzu gehört: Kletterausrüstung, Verpflegung, Bekleidung und Schlafsack. Bereits am frühen Morgen zieht hohe Schichtbewölkung auf und kündigt eine Wetterverschlechterung an. Aus diesem Grunde duschen wir uns alle nochmals, bevor es kalt wird und die Gefahr für eine Erkältung zu groß ist. Leider haben bereits mehrere Teilnehmer mit einer Erkältung zu kämpfen und zwei sind bereits wieder zum Hotel 8000 INN abgestiegen, um sich dort zu erholen. Aus diesem Grund ist das wichtigste Ziel einer jeden Expedition, dass möglichst alle Teilnehmer das Basislager gesund erreichen.

09. April 2001

Basislager: Puja-Zeremonie

Am Morgen wurde eine Zeremonie, die sogenannte Puja abgehalten. Mit dieser Zeremonie sollen die Bergsteiger und Sherpas vor Unheil bewahrt werden.
Da diese Handlung zur gleichen Zeit bei mehreren Expeditionen stattfand, herrschte ein ziemliches Durcheinander im Basislager. Hier stieg Rauch auf, dort wurden Gebetsfahnen gespannt und zum guten Schluss prosteten sich alle zu mit dem Spruch: "Viel Erfolg bei der Besteigung des Mount Everest".
Am Nachmittag stellen wir die persönliche, aber auch die Gruppen-Ausrüstung zusammen, um morgen zum Lager I aufsteigen zu können. Wir sind alle schon sehr auf den Weg durch den Khumbu Eisbruch gespannt. Wie schwierig wird der Aufstieg sein? Speziell die waagerechten Leitern über die breiten Gletscherspalten stellen eine besondere Herausforderung dar und setzen ein hohes Maß an Gleichgewichtsgefühl voraus.

10./11. April 2001

Ausflug ins ewige Eis - der Khumbu-Eisbruch

Der Khumbu-Eisbruch gehört sicherlich zum Beeindruckendsten, was sich einem ambitionierten Bergsteiger in der Welt der hohen Gipfel bieten kann. Zwischen Lhotse und Everest fließt der Gletscher durch ein Hochtal, welches Western Cwm (Westkar) genannt wird.
In einer Höhe von etwa 6000 Metern bricht der eisige Strom in einem steilen Hang ab und zerreißt dabei in hunderttausend Fetzen, Eistürme, Flanken und bizarre blassblaue Gebilde. Da der Gletscher mit über 1,7 Meter pro Tag in Richtung Tal fließt, ist der Eisbruch ständig in Bewegung. Es kracht 24 Stunden rund um die Uhr, ständig lösen sich irgendwo Eisbrocken von den Ausmaßen eines Einfamilienhauses.
Im Khumbu-Eisbruch liegt der Schlüssel zum Mount Everest, diese steile Eiswüste ist sozusagen das Tor zum höchsten Berg der Erde von der Südseite her. Der Eisbruch ist die erste harte Prüfung für die vielen Bergsteiger, die sich seit Anfang April im Basislager am rechten Rand des Khumbu-Gletschers eingerichtet haben. Vielleicht ist er sogar der gefährlichste Teil am Mount Everest überhaupt. Und das Risiko ist kaum zu minimieren, denn sämtliche Expeditionen müssen den Eisbruch gleich mehrmals passieren, um immer wieder Ausrüstung, Verpflegung und Zelte für die höheren Lager nach oben zu schaffen.
Seit einigen Jahren werden die 640 Höhenmeter vom Basislager aus von einer Gruppe Sherpas mit fixen Seilen, Leitern und Brücken über die zum Teil 50 Meter tiefen Spalten versichert. Die Kunst in der Überwindung des Eisbruches ist nicht Schnelligkeit und nicht Langsamkeit, sondern das glückliche Maß dazwischen. Wenn gegen Mittag die Sonne in den Khumbu-Eisbruch brennt und die Temperaturen dennoch kaum über null Grad liegen, stehen die Bergsteiger oft minutenlang völlig regungslos in der Hoffnung auf einen kleinen Windhauch. Die einheimischen Sherpas überwinden den Eisbruch in eineinhalb Stunden, für einen gut trainierten, aber noch nicht akklimatisierten Kletterer werden rund vier Stunden veranschlagt. Es wird noch ein paar Tage dauern, bis es auch bei uns schneller gehen wird. Doch es wurden auch schon acht bis zehn Stunden registriert. Und unendlich viele Bergsteiger sind bereits hier an ihren eigenen Grenzen gescheitert. Unser erster Ausflug in das Reich des ewigen Khumbu-Eises gestaltete sich erfolgreich. Obwohl die Sherpas sagen, der Eisbruch sei in diesem Jahr so schwer wie selten zu begehen, erreichten drei Teilnehmer bereits nach fünf Tagen im Basislager das erste Hochlager. Mehr noch, zur besseren Akklimatisierung schliefen sie auch in knapp 6000 Meter Höhe und stiegen erst am nächsten Vormittag wieder ab.

12. April 2001

Basislager: Außergewöhnliches am Everest

Von entscheidender Bedeutung bei dem Versuch, den Mount Everest zu besteigen, sind die Ruhetage, zwischen den Bemühungen, dem höchsten Berg der Erde Meter um Meter Terrain abzuringen. Bergsteiger, die aus den Hochlagern zurückkommen, sind in der Regel unendlich durstig, hungrig und haben vor allem ein schier unstillbares Schlafbedürfnis. All dies hängt mit dem akuten Sauerstoffmangel zusammen. Denn im Grunde befinden sich die Kletterer jenseits von 5000 Meter Meereshöhe in einer Art andauerndem Krankheitszustand. Eine Erholung in Höhen oberhalb 7000 Metern ist praktisch nicht mehr möglich und an die Ausheilung einer Erkrankung zum Beispiel der Atemwege ist nicht zu denken. Eine kleine Risswunde am Finger wird während der rund achtwöchigen Expeditionszeit nicht wirklich verheilen. So spartanisch eine Expedition in diesem unwirtlichen Gelände zwangsläufig immer auch ist, ein gewisser Komfort ist dennoch von entscheidender Bedeutung für das Gelingen der Unternehmung. So genießen es auch unsere Expeditionsmitglieder an den Ruhetagen in vollen Zügen, wenn sie vom nepalesischen Koch rundum verwöhnt werden. Dazu gehört neben einer kalorienreichen, aber nicht zu schweren Ernährung der unerschöpfliche Nachschub an Getränken jeder Art. Nun ist es am Fuße des Everest nicht eben so, dass man nur einen Wasserhahn aufdreht und schon sprudelt das köstliche Nass endlos aus dem Hahn. Nein, jede Expedition verfügt über eine stattliche Anzahl einheimischer Helfer, die von den nahe gelegenen Gletscherabflüssen oder aus einem der kleinen Seen fast ununterbrochen Wasser herbeischaffen. Das ist Knochenarbeit und zwanzig Liter Wasser sind oft schneller verbraucht, als sie herbeigeschafft wurden. Besuch von benachbarten Expeditionen ist immer eine willkommene Abwechslung. Eigentlich stehen unsere Zelte auf dem Khumbu-Gletscher eher abseits, doch direkt bei unserem Lager führt die Hauptabstiegsroute aus dem Eisbruch vorbei. Und so ist unsere Expedition ständig informiert, wer gerade was am Berg vollbringt.
Apa Sherpa ist gerade hier vorbeigekommen. Er ist sicherlich derzeit einer der prominentesten nepalesischen Everestbergsteiger. 11 Mal hat er inzwischen schon am höchsten Punkt der Welt gestanden. In diesem Jahr ist er Chef der Höhenbergsteiger einer japanischen Expedition. Direkt neben uns lagert "Babu" Chiri, dem der Ruf vorauseilt, der verrückteste unter allen nepalesischen Höhenbergsteiger zu sein. In den vergangenen beiden Jahren gelangen ihm zwei ebenso interessante wie auch heftig umstrittene "Rekorde" am Everest. Er bewältigte das Dach der Welt in nur 16 Stunden, nachdem er zwei Tage zuvor seine schwedische Expedition auf den Gipfel geführt hatte. In der folgenden Saison harrte er über 22 Stunden am Gipfel aus und stellte damit die Mutmaßung sämtlicher Höhenmediziner in Abrede, die immer gesagt hatten, kein Mensch sei in der Lage, eine Nacht in 8850 Meter Höhe zu überleben. Heute ist, wenn auch verspätet, wieder ein Teil unserer Ausrüstung im Basislager angekommen. Wieder ein kleiner Grund zur Freude am Ruhetag. Es klappt nichts wirklich reibungslos im dritt ärmsten Land der Welt, wo mehr als 90 Prozent aller Güter noch immer von Menschenhand bewegt werden. Zwei aus dem Team haben die schweren Rucksäcke bereits wieder gepackt. Sie wollen versuchen, das Lager II, in einer Höhe von circa 6400 Meter Höhe aufzubauen. Lager I, in dem später nur zwei Zelte für den Notfall stehen bleiben, wird dann bei den künftigen Anstiegsversuchen regelrecht übersprungen. Gelingt es den Bergsteigern, in einem Zug vom Basislager (etwa 5300 Meter) hinauf in eine Höhe von circa 6400 Metern zu gelangen, ist dies der Beweis für eine gute Akklimatisation. Schon jetzt wird im immer gewaltiger anmutenden Basislager zwischen den vielen Zelten reichlich über mögliche Gipfeltage gesprochen. Bis Ende April wollen die meisten Expeditionen die Phase der Höhenanpassung abgeschlossen haben. Um den achten Mai herum, wenn der Vollmond wieder am Himmel steht und für helle Nächte sorgt, planen viele der anwesenden Bergsteiger ihren Gipfelversuch, der dann vom Südsattel aus etwa gegen ein Uhr nachts erfolgen wird. Viele Kletterer haben sich jahrelang auf diesen Tag vorbereitet und teilweise weit über 50.000 Mark in das Unternehmen investiert. Und nun läuft der Countdown, der durch nichts mehr aufzuhalten ist.

13. April 2001

Basislager - Lager II: Ein weiterer Schritt zur Akklimatisation

Es ist noch dunkel, als Helmut Hackl und Dieter Porsche am frühen Morgen das Basislager verlassen. Die Leitern über die breiten Spalten im Khumbu-Eisbruch haben an Schrecken verloren und so kommen die beiden recht zügig voran. Eine Korona um den Mond kündigt eine Wetterverschlechterung an. Nachdem es hell geworden ist, bestätigt sich das mit dem Aufzug von hoher Schichtbewölkung.
Als Dieter und Helmut nach drei Stunden schließlich das Lager I in knapp 6000 Meter Höhe erreichen, hat sich der Himmel bereits bedeckt und die beiden setzen ihren Aufstieg zum Lager II unverzüglich fort. Dabei sind zunächst noch mehrere bis zu 10 Meter breite Spalten auf bedrohlich schwankenden Leitern zu überqueren. Dann geht es kontinuierlich im Western Cwm, dem berühmten Hochtal zwischen dem Everest und den Nuptse -Gipfeln, nach oben. Zuerst führt der Weg an den Flanken des Nuptse (7879 m) vorbei und wechselt dann zur Westflanke des Mount Everest. Auf 6300 Metern zieht ein gewaltiges Gletscherbecken von der Westflanke des Mount Everest herunter; auf einer Moräne bietet sich eine gut geschützte Stelle für das Lager II. Von hier hat man normalerweise eine sehr gute Sicht auf den Nuptse und die Lhotseflanke, über die der weitere Aufstieg erfolgen soll. In der Zwischenzeit hat es zu schneien begonnen und so ist von den umliegenden Bergen nicht mehr viel zu sehen. Dieter und Helmut stellen möglichst schnell ihre Zelte auf und verbringen den Rest des Tages bei Schneefall im Zelt. Es schneit bis in die Nacht hinein und so liegen am nächsten Morgen 15 Zentimeter Neuschnee.

14. April 2001

Lager II: Unerträgliche Hitze

Am Morgen scheint die Sonne und Helmut Hackl und Dieter Porsche schaufeln zuerst die Zelte frei. Die Teilnehmer einer italienischen Expedition, die die vergangene Nacht ebenfalls hier im Lager verbracht haben und auch unten im Basislager unsere Nachbarn sind, steigen am frühen Morgen wieder ab. Unsere beiden Bergsteiger hingegen wollen noch eine weitere Nacht in den oberen Regionen verbringen, um sich noch besser an die Höhe zu gewöhnen. Trotz einer Wolkendecke treibt die Sonne die Temperatur im Zelt bis auf 40 Grad Celsius hinauf und macht für die beiden den Aufenthalt im Zelt zur Tortur. Die meiste Zeit des Tages müssen sie jedoch im Zelt verbringen, da es weiterhin die ganze Zeit über leicht schneit. Mit Lesen und Kochen versuchen Dieter und Helmut die Zeit zu überbrücken, aber die Stunden vergehen in den eisigen Höhen nur sehr langsam und stellen eine ernste Herausforderung für die Belastbarkeit der beiden dar. Über Funk erfahren sie aus dem Basislager sämtliche Neuigkeiten. Auch dort hat es in der Nacht geschneit, auch dort werden die Zelte freigeschaufelt.

15. April 2001

Lager II - Basislager: Sturm

Nach Mitternacht ist im Hochtal des Western Cwm ein starker Sturm aufgekommen und die Zelte flattern so stark, dass an Schlafen nicht mehr zu denken ist. Helmut Hackl und Dieter Porsche versuchen alles, um die Zelte ganz dicht zu verschließen, aber der Schnee dringt doch ins Innere und bleibt schließlich sogar auf den Schlafsäcken liegen.
Bei Anbruch des Tages packen die beiden eilig ihre Sachen zusammen und machen sich für den Abstieg vom Lager II ins Basislager bereit. Aber die gestern noch weithin sichtbare Abstiegsspur ist von dem Wind so stark verweht worden, dass es schwerfällt, sich an den Fähnchen zu orientieren. Der Wind ist zeitweise so stark, dass Dieter und Helmut kaum noch die nächste Fahne erkennen können. So kämpfen sie sich mühsam bis zum Lager I hinunter.
Bis hier sind die Sherpas heute Morgen aufgestiegen und so ist für die beiden deutschen Bergsteiger der weitere Abstieg zum Basislager einfacher. Im Basislager angekommen, füllen sie zuerst einmal gierig die Energiespeicher wieder auf. Und sie wissen den Komfort im Basislager durchaus zu schätzen. Denn hier können sie sich auf einen Campingstuhl setzen und sich mit Essen und Trinken verwöhnen lassen. Im Hochlager dauert schon das Zubereiten von einem einzigen Liter Wasser mehr als 30 Minuten und Kochen ist meist mit noch mehr Aufwand verbunden. Am Abend bewundert das gesamte Basislager die einmalige Stimmung, als sich die Wolken ganz langsam auflösen und der Sonnenuntergang die Bergwelt des Himalayas verzaubert.

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16. April 2001

Basislager: Ostern

Ostern zu Füssen der höchsten Berge der Erde. Das hat etwas Besonderes. Vielleicht, und das scheint uns wahrscheinlicher, hat es auch gar nichts. Eigentlich hatten wir vor, Phrem, unseren herzensguten Koch, zu bitten uns ein paar Eier zu kochen. Wenn wir nämlich etwas wirklich im Überfluss haben, dann sind es Eier. Wir wollten sie mit Filzstiften bemalen und dann verstecken. Aber wir haben es dann doch gelassen. Zuviel Aufwand, zu viel Kind im Manne. Stattdessen ziehen wir von den anderen Expeditionen Erkundigungen ein, wie es in den nächsten Tagen weitergehen soll.
Die Zeiten, in denen am Everest jede Gruppe Bergsteiger eigenständig Sicherungen am Berg angebracht hat, sind längst vorbei. Die Arbeiten am Berg werden koordiniert. Eine Expedition aus Kasachstan hat sich bereit erklärt, den Weg vom Lager II zum Lager III mit Fixseilen zu versehen, an denen die anderen Gruppen dann aufsteigen werden. Wer am Mount Everest bergsteigerische Romantik und Ruhe sucht, ist sicherlich fehl am Platz. Dazu ist der höchste Punkt der Erde viel zu begehrt. Ein Abenteuer ist es allemal noch, selbst wenn in diesem Jahr bereits 16 Expeditionsgruppen aus allen Herren Länder zur Besteigung angerückt sind. Und vor diesem Hintergrund vergessen wir gerne mal Ostern und die Ostereier. Auch wenn wir uns den ganzen Tag ständig gegenseitig mit "Frohe Ostern" begrüßen. Der am Morgen noch strahlend blaue Himmel hat sich längst wieder hinter dichten Wolken versteckt. Helmut Hackl und Dieter Porsche werden noch einen Tag rasten, Peter Guggemos und Uwe Zürner planen für Dienstag einen Vorstoß in Richtung Lager I, um weiteres Material auf den Berg zu schaffen.

17. April 2001

Basislager: Fluch der Technik

Welch enorme Bedeutung den Ruhetagen bei der Besteigung des Mount Everest zukommen, davon war an vor einigen Tagen schon einmal die Rede. Doch diese Tage gehen nicht immer nur mit Ausruhen, Schlafen und Essen vorüber. Auch in der direkten Umgebung des Basislagers gibt es immer wieder viel zu tun. So haben einige aus unserer Bergsteigergruppe inzwischen bereits zweimal ihr Zelt umstellen müssen, weil sich unter der Bodenplane immer wieder kleine Gletscherabflüsse bilden, die dann bei entsprechender Sonneneinstrahlung alles durchnässen. Vielfach werden die oft endlosen Stunden im Camp mit mehr oder weniger ernsten Gesprächen oder dem Schreiben von Postkarten genutzt. Und natürlich wollen auch die Nachrichten nach Deutschland übermittelt werden. Dabei steckt die Tücke in der Technik. Selbst modernste Notebooks und unser Satellitentelefon sind im Grunde nicht für diese unwirtliche Gegend weit jenseits der 5000-Meter-Grenze geschaffen. Durch die extreme Kälte ermüdet das Material - insbesondere alle Plastikteile. So standen wir gerade heute wieder ein wenig ratlos vor dem Telefon, als die Buchse für die Spannungsversorgung durch das Solarmodul herausbrach. Mit klammen Fingern nestelte Dieter über eine Stunde an winzigen Steckern und Kabeln herum, bis er endlich eine Notlösung fand, die uns den Kontakt zur Außenwelt über die nächsten Wochen gewährleistet. Gleichermaßen überraschend erhalten wir immer wieder netten Besuch. Denn es gehört fast schon zur Tagesordnung, dass nette Trekkerinnen und Trekker bei uns auf eine Tasse Tee hereinschauen. Eine angenehme Abwechslung, denn irgendwann kann man die unrasierten Gesichter selbst der besten Freunde nicht mehr sehen. Wir hatten bereits die ganze Zeit überlegt, ob wir nicht sogar ein Gästebuch anlegen sollen. Und diesmal war der Besuch nicht irgendwer, der Eintrag hätte sich besonders gelohnt: Manfred Lindinger, Franziskaner Weißbier München, Abteilung Vertrieb. Der 40jährige hat sich durch das ganze riesige Basislager vorgetastet, bis er endlich vor dem Zelt von Christian Rottenegger mit dem großen Franziskaner-Aufdruck stand. Dort war er richtig. Und Manfred Lindinger kam nicht mit leeren Händen: Schildkappen, T-Shirts und Kugelschreiber, alles in Nepal sehr begehrte Güter, schleppte er in unser großes Esszelt. Es gab niemand in unserer kleinen Runde, der sich nicht gefreut hätte. Nur eines hatte er zu unserer aller Enttäuschung nicht dabei: ein frisches, schäumendes und unvergleichliches Franziskaner Weißbier. "Schade" war an diesem Nachmittag, an dem die Sonne heiß vom Himmel brannte, eine der meistgebrauchten Vokabeln.

18. April 2001

Basislager: Wildes Schneetreiben

Diesen Tag hatten wir uns alle anders vorgestellt. Ganz anders. Eigentlich hatte Christian Rottenegger, der endlich und vollständig von seinem schlimmen Husten genesen und wieder im Basislager eingetroffen ist, geplant, einen ersten Vorstoß in den Khumbu-Eisbruch und zum Lager I zu unternehmen. Dieter Porsche und Helmut Hackl wollten zum Lager II aufsteigen, dort übernachten und dann das Lager III in fast 7400 Meter in Angriff nehmen. Doch das waren nur einseitige Willenserklärungen, mehr nicht. Die Rucksäcke und alles Material waren schon gepackt und standen bereit, als der unkalkulierbare Wettergott des Himalayas wieder unbarmherzig die ehrgeizigen Pläne zunichtemachte. Es schneit seit Stunden und die Wolkendecke scheint immer dichter zu werden. Nun sitzen Expeditionsleiter Peter Guggemos und Uwe Zürner tatenlos im Lager I und auch wir im Basislager sind zum Nichtstun verurteilt. Dieses Warten zerrt an den Nerven aller Beteiligten, denn die innere Uhr ist auf Bewegung programmiert und nicht auf Herumsitzen. Die tiefen Temperaturen tun ein Übriges. Wohl dem, der da etwas Angenehmes auf der Haut hat. Ausrüstung und insbesondere funktionelle Bekleidung spielen bei einer Expedition eine ganz entscheidende Rolle. An diesem tristen Vormittag hat Dieter den anderen Expeditionsmitgliedern seine Wäschekollektion von "Bruno Banani" vorgeführt. Die Modenschau wurde von einer eingehenden Figur-Diskussion beherrscht. Doch wirklich bestochen haben die Farben und am Ende der willkommenen Abwechslung war manch einer wild entschlossen, seine Ausrüstung für die nächste Expedition entsprechend zu ergänzen.

19. April 2001

Basislager: Dorf-Tratsch

Seit rund zehn Jahren entsteht immer im Frühjahr am Fuß des Mount Everest eine gewaltige Zeltstadt. Bergsteiger aus aller Welt schlagen dort für rund drei Monate ihr Camp auf. Im Frühjahr 2001 stehen derzeit etwa 300 Zelte auf der gewaltigen Gletschermoräne. Im Laufe der vergangenen vier Wochen ist an einem der vielleicht kältesten und hässlichsten Plätze der Erde - sieht man einmal von den gewaltigen Ausblicken auf die umliegenden Gipfel ab - ein kleines Dorf entstanden. Und die Bergsteiger aus allen Herren Länder, mit ihren unterschiedlichen Sprachen, Mentalitäten, Kulturen und Ansichten, leben im Everest-Basislager auch wie in einem Dorf. Es gibt zwar keinen Bürgermeister und auch keinen Supermarkt zum Einkaufen, doch alles andere gibt es sehr wohl. Man mag sich oder man mag sich nicht. Man beobachtet einander mit Argwohn oder Anerkennung, es wird getratscht und gelästert. Und es brodelt die Gerüchteküche. Das derzeit alles beherrschende Thema: Ist die Anstiegsroute zwischen Lager II und Lager III nun schon mit Fixseilen versichert oder nicht. Der Everest ist kein Berg wie jeder andere.
Durch die vielen Expeditionen ist es gar nicht mehr möglich, dass sich jede Bergsteigergruppe ihren eigenen Weg Richtung Gipfel bahnt und auch selbst versichert. Mehr als die Hälfte der bislang rund 1100 Besteigungen erfolgte in den vergangenen acht bis neun Jahren. Und längst ist es zur Gewohnheit geworden, dass die Sherpas den gefährlichen Khumbu-Eisbruch mit Seilen und Leitern "entschärfen" und dann weiter oben die Bergsteiger teilweise selbst Hand anlegen. In diesem Jahr hat das große Meeting der Expeditionsleiter festgelegt, dass die Route zwischen Lager II und Lager III von einer kasachischen Expedition in direkter Zusammenarbeit mit dem Team des Italieners Simone Moro versichert werden soll. Seit drei, vier Tagen schießen die Spekulationen praktisch stündlich aufs Neue ins Kraut. "Der Weg ist frei", heißt es in der Früh. Und zwei Stunden später wird alles wieder dementiert. In vielen Expeditionen sitzen die Bergsteiger auf gepackten Rucksäcken und wissen nicht so recht, was sie tun sollen. Die meisten Kletterer sind inzwischen auf eine Höhe von 6500 Metern akklimatisiert und drängen weiter nach oben. Machten gestern noch die anhaltenden Schneefälle einen Anstieg praktisch zunichte, so bestehen heute ideale Bedingungen, die die Bergsteigerherzen höherschlagen lassen. Doch die besagte Gerüchteküche sorgt eher für Verdruss. Optimale Wetterbedingung für einen Aufstieg (wenn es auch nur von kurzer Dauer ist). Die jüngste Meldung lautet, dass die Fixseile fertig gelegt sind. Aber wer mag das jetzt noch glauben. Ganz unabhängig von der stündlich wechselnden "Nachrichtenlage" im Dorf, haben sich Dieter Porsche und Helmut Hackl längst schon entschieden, dass sie am Freitag (20.04.) zum Lager II aufsteigen, dort übernachten und dann am Wochenende den vorerst entscheidenden Vorstoß in Richtung Lager III unternehmen wollen. Ein ganz kühner Plan in der Geheimschublade besagt, dass bei entsprechender Witterung und persönlicher Verfassung sogar schon der Südsattel (knapp 8000 Meter über dem Meeresspiegel) anvisiert werden könnte. Und vielleicht begegnen die beiden bei ihrem Anstieg Peter Guggemos, Uwe Zürner und Christian Rottenegger, die sich dann wohl auf dem Weg zurück ins Basislager befinden werden. Wieder einmal herrscht Aufbruchstimmung im Team der deutschen Everest-Expedition 2001. Diesmal sind die Hustenkranken dran. Elf Tage lang hatte Christian Rottenegger das Basislager verlassen, um einen schlimmen Husten auszukurieren. Für fünf Tage war auch Peter Guggemos, unser Expeditionsleiter abgestiegen, um gegen den lästigen Husten anzukämpfen. Bei Bergsteigern ohne Achttausender-Erfahrung kann derlei leicht an den Nerven zerren, denn viele sehen schnell ihre Gipfelchancen schwinden. Doch noch ist am Everest im Prinzip nichts wirklich Entscheidendes passiert. Bei allen Expeditionen - es sind auf der Südseite inzwischen zwanzig Gruppen und auf der Nordseite sogar 26 - läuft die Phase der Höhenanpassung auf Hochtouren. Doch in Gipfelnähe ist noch lange niemand gelangt. Das liegt einerseits daran, dass die Fixseile noch nicht durchgehend angebracht sind und andererseits natürlich auch daran, dass an den Flanken des höchsten Berges der Erde noch immer unvermindert die gefürchteten Höhenstürme, die Jetstreams, toben. Die ersten Gipfelversuche werden deshalb nicht vor Anfang, Mitte Mai möglich sein. Nun ist also auch für Peter und Christian die Zeit am Berg gekommen. Auch sie wühlen sich nun durch den Khumbu-Eisbruch und weiter ins Lager II. Und auch Uwe Zürner ist wieder am Berg unterwegs. Sie alle berichten die immerwährend gleiche Dinge: Die Verhältnisse am Dach der Welt sind in diesem Frühjahr außerordentlich schwierig. Es ist an den Flanken des Everest einfacher, sich auf Schnee zu bewegen. Doch die Höhenstürme haben den Berg blank gefegt. Soweit das Auge reicht, nur schwarzes Gestein und blaues, blankes Eis.

20. April 2001

Aufstieg ins Lager II: Wieder durch den Khumbu-Eisbruch

Dieter Porsche und Helmut Hackl verschwinden zum dritten Mal im bergsteigerischen Elend des Khumbu -Eisbruchs. Wirklich schön empfindet dieses Chaos wohl kaum einer der Kletterer. Eine trostlose, immerwährend lebensgefährliche Eiswüste, die sich wie ein unüberwindliches Hindernis über dem Basislager aufbäumt. Peter Habeler, der große Zillertaler Bergsteiger, dem 1978 zusammen mit dem Südtiroler Reinhold Messner die erste Besteigung ohne zusätzlichen Flaschensauerstoff gelang und der im vergangenen Jahr an den Everest zurückkehrte, durchquerte diese lästige Eiswüste im Vorjahr sage und schreibe 20 (!) Mal. Danach hatte er die Nase gestrichen voll von den umstürzenden Séracs und Eislawinen. Den Kletterern unserer Expedition geht es nicht anders. Doch mit jedem Mal geht es auch schneller. Und Schnelligkeit bedeutet am Everest Sicherheit. Im Lager I "kehren" Helmut und Dieter kurz ein. Sie holen Christian Rottenegger ab, der dort in der vergangenen Nacht seelenruhig in seinen Geburtstag hineingeschlummert hat. Dass ihm einmal jemand an den Hängen des Mount Everest in einer Höhe von knapp 6000 Meter Höhe zum Geburtstag gratulieren würde, hätte sich der Bobinger auch kaum träumen lassen. Ohne Torte im Gepäck stapfen die Drei in Richtung Lager II.

21. April 2001

Aufstieg ins Lager III: Im Steileis

Am frühen Morgen starten Dieter Porsche und Helmut Hackl vom Lager II in Richtung der ebenso berühmten wie berüchtigten Lhotseflanke. Nach rund zwei Stunden stehen sie am Fuß der gewaltig anmutenden Flanke. Gleich zu Beginn geht es steil im blau-türkisen Blankeis nach oben. Das mag zwar ein faszinierender und berauschender Anblick sein. Doch selbst für die härtesten Bergsteigerwaden bedeutet die ständige Belastung über die Frontalzacken der Steigeisen irgendwann "Saures". Die Waden schwellen an wie Luftballone, sie pumpen sich förmlich auf und immer wieder werden längere Pausen unumgänglich. Die Frage nach dem, warum stellt, sich während der Ruhephasen immer mal wieder. Doch wer mag, oder kann diese Frage schon beantworten: "Warum auf den Everest? Warum?" Die vielleicht banalste, aber immer noch schönste hat wohl der britische Everestpionier George Mallory schon Anfang des Jahrhunderts gegeben: "Warum ich den Everest besteigen will? Weil er da ist!" Nach einigen Stunden im steilen Eis werden selbst die Pausen zur Qual, denn wirklich entspannt stehen kann hier niemand mehr. Der eiskalte Wind, der den beiden deutschen Bergsteigern ohne Unterlass entgegen bläst, tut ein Übriges. Ganz langsam, schleichend sozusagen, kühlen die Körper aus und es wird immer schwerer Energie aufzubringen. Nach sechs Stunden erreichen Dieter und Helmut schließlich das Lager III in circa 7400 Meter Höhe. Zwei der Sherpas haben kurz zuvor ein Zelt aufgestellt und im Abstieg begegnen sich die Vier. Es ist dies nicht die Zeit der großen Worte. "Danke", sagen kann man besser im Basislager. In dieser Höhe ist jeder mit sich selbst beschäftigt. So gut es geht, richten sich Helmut und Dieter das Zelt ein, das unsere Sherpas kurz zuvor errichtet haben. Gemütlichkeit ist etwas anderes. Die beiden ruhen sich aus, schmelzen Unmengen Schnee und kochen mühselig ein paar Liter Tee. Dieter ist der Genügsamere, Helmut hat die ganze Nacht über das Gefühl zu verdursten. Es bleibt stürmisch. Das spüren 1000 Meter tiefer im Lager II auch Peter Guggemos, Christian Rottenegger und Uwe Zürner. Auch dort spielt der Sturm auf den Zeltplanen und zwischen den Stangen sein grausiges Lied. "Ich habe die Niagarafälle gehört", befindet Christian. Nur einmal wagen sich Helmut und Dieter in den eisigen Höhen vor das Zelt. Die Möglichkeit, ein paar einmalige Aufnahmen zu machen, ist zu verlockend.

22. April 2001

Abstieg ins Basislager: Starker Sturm und tiefe Temperaturen

An diesem Morgen macht Helmut Hackl seine letzten Aufnahmen mit der digitalen Kamera. Kaum 50 Höhenmeter unter dem so exponiert liegenden Zelt im Lager III, gleitet im das kleine Gerät durch die klammen Finger. Dapp, dapp, dapp springt moderner Hightech die Lhotseflanke hinunter. Auf Nimmerwiedersehen. Unterwegs zerschellt die Kamera in ihre Bestandteile. Zuvor hatten die beiden die anstrengenden Vorbereitungen für den Abstieg um sechs Uhr getroffen. Allerdings erlaubten die tiefen Temperaturen (circa minus 25 Grad Celsius) den geplanten frühen Aufbruch nicht. Ganz im Gegenteil, die beiden mussten warten, bis die ersten Sonnenstrahlen ihr Zelt erreichten. Und so quälten sich die beiden erst gegen acht Uhr aus dem engen Zelt ins Freie und befanden sich auf einer winzigen Plattform von nur einem halben Quadratmeter vor dem Zelt. Direkt an der Kante standen die Fußspitzen 800 Meter über dem Abgrund. Hier mussten nun in einem Balanceakt die Steigeisen angezogen und der Rucksack geschultert werden. Im Hinterkopf immer der Gedanke an die 800 Meter tiefe und 45 Grad steile Lhotseflanke, die sich unter den beiden auftat. Nur keine falsche Bewegung machen, so hart an der Absturzgrenze. Im Abstieg machte sich ein bekanntes Everestphänomen bemerkbar. Dieter und Helmut auf dem Weg nach unten und viele Sherpas auf dem Weg nach oben. Da kommt es zwangsläufig zu Wartezeiten. Gegen 11 Uhr erreichten die beiden Lager II. Zu diesem Zeitpunkt waren Peter Guggemos, Uwe Zürner und Christian Rottenegger bereits seit 24 Stunden wieder zurück im Basislager. Dieter und Helmut versuchten derweil im Lager II ihren Wasserhaushalt mit frischem Tee ins Lot zu bringen und setzten schließlich ihren Abstieg weiter fort. Zwischen Lager II und I blies der Wind mit einer derartigen Wucht, dass es oft schwer war, sich auf den Beinen zu halten. Die Leitern über die schwindelerregend tiefen Gletscherspalten entwickelten sich zum Tanz ohne doppelten Boden, zumal der Abstieg nun doch deutliche Spuren hinterlassen hatte. Die beiden waren längst müde und es kostete einiges an Überwindung, um die vielen Gegenanstiege im Khumbu - Eisbruch noch souverän hinter sich zu bringen. In der Mitte des Eisbruchs war ein großer Eisturm umgefallen und Dieter und Helmut mussten zu allem Überfluss einen neuen Weg suchen. Nach rund sechs Stunden erreichen die beiden unter großem Hallo und mit mächtigem Durst das Basislager. Dieses Basislager ist für die Bergsteiger längst End- und Ausgangspunkt in einem geworden. Helmut und Dieter berichteten nicht ohne einen gewissen Stolz von besonderen Begebenheiten. Dieters Unterwäsche von "bruno banani" ist bis Lager III auf "Härte" getestet. Und Helmut hat den Wimpel mit dem kleinen dicken Mönchlein von Franziskaner auch im dritten Hochlager deponiert. Der Gipfel rückt auch für Sachgegenstände näher.

23. April 2001

Basislager: Alle versammelt

Das hat es lange nicht mehr gegeben. Alle Mitglieder der deutschen Everest-Expedition sind einmal wieder im Basislager versammelt. Das gibt nicht nur Gelegenheit Meinungen und Erfahrungen auszutauschen, sondern auch über die weitere Taktik, die an diesem gewaltigen Berg so eine entscheidende Rolle spielt, zu sprechen. Auch unsere italienischen "Nachbarn" sind vom Berg zurück. Ein paar Mal ist das Wort Spaghetti gefallen. Wen sollte es wundern, Italiener eben. Der Wind hat sich gedreht. Nun bläst er von Norden und von Tibet her. Ein schlechtes Zeichen ist das nicht. Doch im Lager sorgt es für Verdruss. Denn den ganzen Tag über ist es kaum möglich, sich länger als ein paar Minuten im Freien aufzuhalten. Trotz strahlendem Sonnenschein ist kaum jemand ohne dicke Daunenjacke zu sehen. Am Nachmittag hat ein Meeting stattgefunden. Dabei kam auch der Umgang mit den Sauerstoffflaschen, den Atemmasken und den empfindlichen Regulatoren zu Sprache. Die nächsten Tage werden der Ruhe und Regeneration vorbehalten sein.

24. April 2001

Gorak Shep / Upper Lobuche: Flucht aus dem Basislager

Es sind oftmals die kleinen Dinge, die am Fuße des Mount Everest Wunder bewirken. Für ein paar Stunden eine andere Umgebung, für einen halben Tag ein paar andere Gesichter, schon das kann die Stimmung grundlegend ändern. Sollte man glauben. Die deutsche Everest-Expedition 2001 ist inzwischen seit drei Wochen im Basislager. Keine Frage, dass sich dann auch der Lager-Koller beginnt einzustellen. Während sich Peter Guggemos und Uwe Zürner an diesem sonnig warmen Vormittag auf ihren Anstieg Richtung Lager III vorbereiten, verlassen - fast schon fluchtartig - Dieter Porsche, Christian Rottenegger und Helmut Hackl das Basislager. "Menschen schauen" nennen sie ihren kleinen Ausflug. Nach eineinhalb Stunden erreichen Helmut und Christian "Gorak Shep", eine Miniansiedlung menschlichen Lebens mit gerade zwei windschiefen Unterkünften für Trekker. Dieter sprintet im Eiltempo noch weiter bis nach "Upper" Lobuche ins etwas feudalere "8000 Inn". Einmal wieder eine Nacht lang das Gefühl haben, man könne aus dem Bett fallen, einmal wieder für ein paar Stunden an einem warmen Ofen sitzen, endlich wieder einmal ein Bier trinken. Die Bedürfnisse sind komplett unterschiedlich.
Aber es geht nur darum, jeden leisen Anflug von schlechter Stimmung zu bekämpfen. Alle Expeditionsteilnehmer befinden sich zurzeit gesundheitlich wohlauf. Einzig der Höhenhusten macht uns etwas zu schaffen. Dieser Husten ist aber nichts Ungewöhnliches und rührt von der herrschenden Kälte und dem starken Wind her. Diese sturmartigen Böen und vor allem der Schneefall hindern uns allerdings im Moment am weiteren Aufstieg. Nichtsdestotrotz haben sich Peter Guggemos und Uwe Zürner auf den Weg zum Lager II gemacht. Der Rest der Expedition wartet im Basislager auf das Ende dieser Schlechtwetterphasen, die erfahrungsgemäß meist nur von kurzer Dauer sind. Für Dieter Porsche und Helmut Hackl hat diese Zeit des Wartens aber auch ihre guten Seiten. Die beiden, die als Erste der Expedition bereits bis Lager III aufgestiegen sind, können sich von den Strapazen erholen und wieder Energie tanken. Denn der Anstieg durch das Blankeis und das damit verbundene Freischlagen von Tritten waren äußerst anstrengend und haben viel Kraft gekostet. Jetzt ist für die beiden erst mal Erholung angesagt. Wenn das Wetter mitspielt, dann wollen wir den Vollmond am 8. Mai für den Gipfelanstieg nutzen.

25. April 2001

Basislager: Wie ausgestorben

Das Basislager wirkt wie ausgestorben. Kein geschäftiges Treiben rund um die Zelte, die Sprachvielfalt am Fuß des höchsten Berges der Erde ist plötzlich so gut wie verstummt. Viele Expeditionen haben ihre Akklimatisierungsphase so gut wie abgeschlossen.
Und nun geschieht in der Zeltstadt etwas Merkwürdiges. Es beginnt die stille Zeit des Wartens. Warten auf den Tag der Tage, warten auf stabiles Wetter, warten auf ein Ende der brutalen Höhenstürme, warten auf das Signal der eigenen inneren Uhr. Doch es ist keine gespannte Ruhe, die nun im Basislager herrscht. Es ist einfach niemand mehr da. Als Dieter Porsche, Helmut Hackl und Christian Rottenegger am Mittag von ihrem kleinen Ausflug zurückkehren, wundern sie sich über die fast schon gespenstische Ruhe. Nur vereinzelt werkeln noch ein paar Sherpas, hier und da streckt im zunehmend dichteren Schneetreiben sogar noch ein Bergsteiger seinen Kopf aus dem Zelt, doch viele sind talaufwärts gewandert.
Sie alle suchen Abwechslung und noch mehr ein wenig Bequemlichkeit. Zwei, teilweise sogar drei Tagesetappen ziehen die Kletterer hinaus in tiefere und vor allem wärmere Gefilde. Von nun an ist die Besteigung des Daches der Welt vor allem auch eine Kopfsache. Peter Guggemos und Uwe Zürner sind irgendwo auf dem Weg Richtung Lager III in der Lhotseflanke. Doch aufgrund der schwierigen Witterungslage gibt es keinen Funkkontakt. Es bleibt in diesen Stunden nur die Hoffnung, dass oben am Berg alles in Ordnung ist.

26. April 2001

Basislager: Ein scharfes Messer

Man kann sich die besonderen Tage am Fuß des Mount Everest auch "basteln". Dazu gehört ein scharfes Messer, ein Stück Speck, ein Stück Käse, ein Sack voll Südtiroler "Schüttelbrot". Perfekt. Mehr braucht es nicht. Nun ja, vielleicht noch einen "Dummen", der sich erbarmt für die gierigen Mäuler zwei Stunden lang Speck aufzuschneiden. Das sind die schönen Stunden in dieser so unwirtlichen und im Grunde menschenfeindlichen Welt. Wenn sich auf und unter der Zunge der Begriff "Heimat" in Form von Geschmack verbreitet. Diese kleine Gaumenfreude, dieser feine Kitzel im Mund - man glaubt es kaum - kann fast Wunder in Sachen Stimmung bewirken. Die meisten Witze sind erzählt, viele sogar schon zweimal, die Spannung scheint bisweilen in Nervosität umzuschlagen. Da muss einfach einmal etwas anderes her, als ein flotter Spruch. Unterdessen haben Dieter Porsche und Helmut Hackl wieder einmal ihre Rucksäcke gepackt. Sie wollen am Freitag versuchen in eine Höhe vorzudringen, in der in dieser Frühjahrssaison noch niemand gewesen ist. Der Plan ist, vom Basislager in Lager II aufzusteigen und dort zu übernachten. Am Tag darauf wollen die beiden sogar das Lager III überspringen und direkt über die 1500 Meter hohe Lhotseflanke bis in den berüchtigten und sturmumtosten Südsattel vordringen. Wenn das gelänge, wäre nicht nur ein kühner Plan verwirklicht, sondern dann hätten Helmut und Dieter die Phase des Akklimatisierens ebenfalls abgeschlossen. Mit dem einen Unterschied, dass sie in einer Höhe gewesen wären, wie kaum ein anderer Bergsteiger in dieser Saison sie in diesem frühen Stadium erreicht hat.

27. April 2001

Basislager: Abwarten und Tee trinken!

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben! Der kühne Plan, sehr früh in der Saison, nämlich schon Ende April, den Südsattel zu erreichen, musste von den Bergsteigern der Everest-Expedition 2001 kurzfristig verschoben werden. Vor allem die noch nicht genügend weit vorangeschrittenen Arbeiten an der Lhotseflanke sind dafür der entscheidende Grund gewesen. Und so sitzen Dieter Porsche, Helmut Hackl und auch Christian Rottenegger einen weiteren Tag im Basislager, während Peter Guggemos und Uwe Zürner von Lager II nach Lager III aufsteigen. Für die Kletterer ist es nicht einfach, auf gepackten Rucksäcken und mit scharrenden Füssen dasitzen zu müssen. Keine Frage, das ist ein klarer Fall für Phrem, unseren Koch. Wie schon so oft. "Abwarten und Tee trinken" heißt wieder einmal die Tageslosung.

28. April 2001

Aufstieg vom Basislager zum Hochlager II und III: Wer steckt wo?

Südsattel heißt das Ziel. Endlich. Das mühsame Warten des Vortages hat die Spannung auf eine ganz entscheidende Phase der geplanten Everestbesteigung noch erhöht. 3:30 Uhr aufstehen, anziehen, mühsam in die Hightech Bergstiefel steigen.
3:45 Uhr Frühstück im großen Zelt. Mühsam ein paar Bissen hinunterwürgen. Vier Uhr Start. Eine knappe halbe Stunde bis zum Eisbruch und dann ist alles wie immer. Hinein in den Khumbu -Eisbruch, über die Leitern und die steilen Aufschwünge hinauf. Wieder haben die emsigen Sherpas, ohne die eine Everestbesteigung nur unter unendlich viel mehr Schwierigkeiten und Mühen möglich wäre, den Wegverlauf geändert.
Weit oben zieht sich das Eis langsam zurück. Den Zelten in Lager I schenken die Bergsteiger inzwischen kaum noch einen Blick. Es geht direkt weiter zum Lager II. Dieter Porsche und Helmut Hack sind bester Dinge, als sie in ihre Schlafsäcke sinken. Morgen gilt es, vom Lager II direkt in den Südsattel aufzusteigen. Christian Rottender hat das Lager III im Visier. Er will morgen dortbleiben. Im Lager II begegnen sich Dieter und Peter Guggemos, der vom Lager III direkt hinunter ins Basislager absteigt. Uwe Zürner folgt ihm mit Abstand und bleibt noch eine Nacht in Lager II. Kein Zweifel, die Auf- und Abstiegslogistik wird immer komplizierter. Man muss schon genau aufpassen, um am Abend zu wissen, wer gerade wo ist. Der Funk mit dem Basislager bringt jedoch um 17 Uhr meist schnell Aufschluss.

29. April 2001

Vom Lager II über III zum Südsattel: Deutscher Teilerfolg am Everest

Es gibt Tage an diesem Berg, an dem geschehen Dinge, die fast niemand glauben mag. Es beginnt alles völlig normal, sofern man die Maßstäbe des höchsten Berges der Erde zugrunde legt. Dieter Porsche, Helmut Hack und Christian Rottender schälen sich um drei Uhr aus ihren Schlafsäcken.
Derweil liegt Uwe Zürner im Zelt nebenan noch im seligen Tiefschlaf. In der Dunkelheit, nur im engen Schein der Stirnlampen machen sich die Drei eine Stunde später auf den Weg. Zwei Stunden bis zum Einstieg in die steile Flanke des Lhotse, jenem 8501 Meter hohen, stolzen Nachbarn des Mount Everest. 45 Grad steil reckt sich diese steile, eisige und abweisende Flanke himmelwärts. Sie ist schon im unteren Teil vereist, sodass an ein Weiterkommen ohne Steigeisen gar nicht zu denken ist. Endlich einmal stimmt die Gerüchteküche im Basislager: Der gesamte Wegverlauf in der schweren Flanke ist inzwischen mit Fixesten versichert. Der immerwährende Wind, mit seinen eisigen Böen, erschwert das Vorankommen.
Die Kälte kriecht unaufhaltsam durch die Fasern der Bekleidung und ganz langsam, schleichend werden die Finger in den dicken Daunenhandschuhen kalt. Es kostet unendliche Überwindung in dieser Kälte, den Rucksack herunter und die Kamera herauszunehmen. Nicht einmal die ersten Sonnenstrahlen sind eine Garantie dafür, dass man ein vernünftiges und brauchbares Foto erhält. Zum Glück funktionieren die zweite digitale und auch die analoge Kamera einwandfrei. Wie an anderer Stelle erwähnt war eine digitale Kamera bereits vor ein paar Tagen die Lhotseflanke hinuntergestürzt. Im Lager III bleibt Christian zurück. Müde aber glücklich, diesen Punkt nach seiner schweren Hustenerkrankung überhaupt erreicht zu haben, lässt er sich ins Zelt fallen. Alles Gute für den weiteren Aufstieg presst er noch heraus und schon sinkt er in Tiefschlaf. Dieter und Helmut ziehen weiter hinauf, immer in Richtung des markanten Sattels, der den Everest in einer Höhe von knapp 8000 Metern vom Lhotse trennt. Großes kombiniertes Gelände in Eis und Fels, so steil, dass Kletterer und Sherpas gleichermaßen langsam vorankommen.
Zwei Schritte, rasten, zwei Schritte, rasten - ein Schnecke hätte kaum Mühe, da zu überholen. Aber es geht voran. Bis, ja bis passiert, was später kaum und wenn, dann nur unter Lachen zu erklären ist. Auf der Höhe des markanten Gelben Bandes, kehrt Helmut um. Ein schier endloser Niesanfall lähmt seine Kräfte und sorgt überdies für grenzenlose Überraschung. Was ist das? Immer neue Niessalven beuteln den Körper des urigen Bayern. Auf 7700 Meter dreht er um. Die Augen von den Anfällen tränengefüllt, die Nase ein einziger Niagarafall, steigt er ab. 13 Stunden (!) nach dem Start an diesem Morgen, erreicht er das Basislager. Wie einsam es trotz des Betriebes an diesem Berg zugeht, beweist allein die Tatsache, dass Dieter lange braucht, um überhaupt zu bemerken, dass Helmut ihm nicht mehr folgt, sondern absteigt. Doch auch das ist am Everest normal. Bei aller Freundschaft ist am Ende jeder auf sich gestellt und handelt komplett eigenverantwortlich. Dieter zieht seine Spur weiter hinauf. Nur ein paar Sherpas sind noch hinter ihm. Sie tragen Material in den Südsattel. Unaufhörlich kriecht Dieter mittlerweile die Kälte unter die Bekleidung. Doch der überaus erfahrene Achttausender-Mann (sechs erfolgreiche Besteigungen im Himalaja und Karakorum) weiß genau, wie weit er gehen und was er seinem Körper zumuten kann. Er gibt erst auf, als die Alarmglocken schrillen. Gegen Mittag, in einer Höhe von 7800 Metern, knapp 200 Höhenmeter unter dem ersehnten Sattel, wendet auch er dem Berg den Rücken zu. Die eisigen Winde, die vor keinem Material der Welt Halt machen, sind inzwischen auch durch Überschuhe, Innenschuhe und Socken gedrungen. Die Zehen werden kalt. Und das ist für jeden Höhenbergsteiger der Gräuel schlechthin. Dann werden die furchtbaren Bilder von schwarzen, erfrorenen Zehen wach. Leichten Herzens beginnt Dieter den Abstieg. Kein Berg der Welt ist ihm auch nur eine Zehe wert. Stunden später erreicht er Lager II. Das hatte am Morgen schon Uwe Zürner verlassen und war zu den Basislager-Zelten abgestiegen. Der Tag geht mit einem entscheidenden Teilerfolg zu Ende. Dass er von einer Katastrophe überschattet werden sollte, konnte zu diesem Zeitpunkt niemand ahnen.

30. April 2001

Abstieg vom Lager II zum Basislager: Trauer im Basislager

Am Sonntag, den 29. April 2001 ereignete sich an den Flanken des Mt. Everest ein Unfall. "Babu" Chiri, einer der erfolgreichsten Klettersherpas aller Zeiten, kam bei einem Spaltensturz ums Leben.
Er war Mitglied einer US-amerikanisch-nepalischen Expedition. Während im Basislager traurige Stille herrschte, kamen Dieter Porsche und Christian Rottenegger wohlbehalten von ihren Aufstiegen zurück.

01. Mai 2001

Basislager: Eine Frage der Moral?

Nach wie vor ist die Betroffenheit über den Tod des weltbekannten Sherpa Babu Chiri im Basislager des Mount Everest groß. Am Morgen wurden die sterblichen Überreste des zehnmaligen Everestbesteigers von einem Helikopter in die nepalische Hauptstadt Kathmandu geflogen. Dort wird er in der Sherpa-Gompa von Bodnath aufgebahrt, bevor sein Leichnam am Donnerstag im buddhistisch-hinduistischen Heiligtum von Swayambunath im traditionellen Ritual verbrannt wird. Derweil wurden im Basislager die ewigen Diskussionen um die grundsätzliche Sinnhaftigkeit einer Bergbesteigung überhaupt und insbesondere in einer solchen Situation entfacht. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Besteigungsversuche schon in wenigen Tagen fortgesetzt werden.
Babu Chiris Bruder, der zu den Trauerfeierlichkeiten nach Kathmandu geflogen ist, wird in ein paar Tagen zurückkehren und die Arbeit seines Bruders als Expeditionsleiter einer US-amerikanisch-nepalesischen Gruppe übernehmen. Und es scheint dies weniger eine Frage der Moral zu sein, als vielmehr der Überlegung, wem es nützen würde, wenn nun annähernd 300 Bergsteiger ihre Bemühungen einstellen würden. Babu Chiri war ein überaus erfahrener Höhenbergsteiger. Und immer mehr macht sich die Überlegung breit, dass auch er in den vergangenen Jahren, in denen der Everest stets auch seine Opfer gefordert hat, nie aufgegeben hat. Und so haben sämtliche Expeditionen längst beschlossen, dass nach einer Zeit des Innehaltens vor diesem großen Bergsteiger, die Arbeit am Berg weitergehen wird.

02. Mai 2001

Basislager: Müll, das große Problem?

Es sei schön, dass die "ganze Familie" einmal wieder im Basislager versammelt sei, sagt Peter Guggemos, der Expeditionsleiter der deutschen Everest-Expedition 2001, als er seine "Schäfchen" nach vielen Tagen zum ersten Mal wieder vollständig im Basislager versammelt hatte. Immer wieder im Laufe eines Tages stellt sich Besuch ein. Diesmal kam er schon am frühen Morgen. Kein Geringerer als Ang Phurba Sherpa, eine wahre Himalajalegende, der 1979 mit einer japanischen Expedition den Everest bestieg, leistete der deutschen Expedition eine Stunde Gesellschaft. Wo er auch auftaucht, ist der Grund des Besuchs rasch klar. Ang Phurba ist einer der führenden Männer in der "Nepal Mountaineering Association", die es sich unter anderem zum Ziel gesetzt hat, den Everest "sauber" zu machen. Und so wird es auch in diesem Jahr wieder entsprechende Aktivitäten geben. Im Vorjahr holten die Sherpas der einzelnen Expeditionen vier Tonnen Müll vom Südsattel auf knapp 8000 Meter Höhe herunter und 632 leere Sauerstoffflaschen, die von den Bergsteigern früherer Jahre dort achtlos zurückgelassen worden waren. Der Südsattel ist nach wie vor als "die größte Müllhalde der Erde" bekannt. Von diesem Image soll der beeindruckende Ort wegkommen. Ang Phurba vermutet nun nur noch rund 200 leere Flaschen auf dem Expeditionsspuren komplett befreit werden kann, bezweifelt selbst ein engagierter Mann wie Ang Phurba. Von immer größerer Bedeutung sind inzwischen die Wettervorhersagen. Quellen gibt es die unterschiedlichsten. Eine der US-amerikanischen Expeditionen bezieht ihre Informationen aus Schweden. Die deutsche Expedition hat das außerordentliche Glück auf die Wetterprognosen des Wetterdienstes Innsbruck/Tirol zurückgreifen zu können. Seit einigen Jahren bereits verbindet Expeditionsleiter Peter Guggemos und den Innsbrucker "Wetterprofessor" Dr. Karl Gabel ein gutes Verhältnis. Gabel, der auf eine erfolgreiche Cho Oyu-Besteigung zurückblicken kann, wird die deutsche Expedition in den nächsten Tagen vor allem über die Entwicklung des Windes informieren, der in den Gipfellagen des Everest von entscheidender Bedeutung ist. Aber auch die allgemeine Großwetterlage wird Gabel nun regelmäßig übermitteln. Derzeit sind die Prognosen nicht sonderlich günstig. Selbst in den tiefen Lagen des Basecamps herrscht ein Wetter wie im europäischen April. Sonnenschein, Schnee, Nebel, Regen und Graupelschauer wechseln sich im Laufe des Tages stetig ab. Und in den Höhen toben weiterhin die brutalen Stürme mit Geschwindigkeiten von teilweise über 100 Stundenkilometern. Bei solchen Verhältnissen ist an eine Besteigung nicht zu denken. Das große Warten hat begonnen. Und der erhoffte Termin des Vollmonds am 8. Mai rückt zwar immer näher und doch in immer weitere Ferne.

03. Mai 2001

Basislager: Anatolis Vermächtnis

Es kommt so langsam wieder Leben in das Basislager. Man sollte es kaum für möglich halten, wie viele Bergsteiger in den vergangenen acht Tagen das Basecamp am Fuß des Mount Everest verlassen und sich in wärmere Gefilde begeben haben. Dabei ist durch nichts und von niemandem bewiesen, dass das tatsächlich zu einer Verbesserung des allgemeinen Zustandes der Bergsteiger beiträgt. 1996, in den Tagen vor der großen Katastrophe, war der bekannte kasachische Bergsteiger Anatoli Bukreev immer mal wieder talwärts gewandert, um etwas anderes zu essen, andere Menschen zu treffen und mal für zwei, drei Nächte in einem Bett und nicht immer in einem Zelt zu schlafen. In der Folge publizierte der US-amerikanische Journalist Jon Krakauer diese "Taktik" in seinem Bestseller "Into tin air" (In eisige Höhen) in millionenfacher Auflage und weltweit. Krakauers Sicht der Everest-Dinge ist heute Pflichtliteratur und viele Kletterer schwören heute Stein und Bein, dass die Taktik des großen Anatoli, der 1997 an der Annapurna tödlich verunglückte, die Chancen auf den Everestgipfel wesentlich erhöhen, könnten. Nun kommen sie alle tröpfchenweise wieder. Aus Tengboche und Dingboche, aus Lobuche und aus der "Pyramide". Allen Ortes und Unterkünfte, die ein Stück Himalajamusik in den Ohren derer sind, die schon einmal in Solu-Khumbu gewesen sind. Ob und wem es was genutzt hat, das wird sich zeigen. Vor den Zelten werden Steigeisen angefeilt, wird ein letztes Mal Material getestet und werden die körperlichen Reserven wieder aufgetankt. Manchmal, wenn man ganz genau hinhört, kann man fast schon das Scharren der schweren Bergschuhe hören. Und an der Lautstärke, mit der bei manchen Expeditionen die Diskussionen geführt werden, lässt sich auch leicht ermessen, dass Warten etwas durchaus Nerviges sein kann.

04. Mai 2001

Basislager: Wetterkapriolen

Es schneit! Es schneit um 6 Uhr und es schneit um 7 Uhr. Es schneit auch um 8 Uhr noch und selbst um 11 Uhr hat es noch immer nicht aufgehört. Es ist nicht viel, was da vom Himmel herunterkommt. Doch es genügt, um die hässlich-graue Gletschermoräne in ein ansehnliches Wintergewand zu kleiden und die Flanken des Everest mit 40 Zentimeter Neuschnee zu versorgen. Es dauert, ehe der düstere Wolkenvorhang sich hebt. Doch dann geht alles ganz schnell. Binnen Minuten bricht die Sonne durch. Und dann geschieht etwas, das jeden Außenstehenden zum Lachen bringen würde. Daunenjacken fliegen, dicke Überhosen werden von den Leibern gerissen, Pullover landen über Stühlen. In den Zelten ist es innerhalb weniger Minuten nicht mehr auszuhalten und ohne Sonnenbrille kann man draußen absolut nichts mehr sehen. Eben noch Wintereinbruch, jetzt Frühlingserwachen, gerade noch null Grad und darunter, jetzt sicherlich 30 Grad Hitze. Auch das ist der Everest. Der Khumbu-Eisfall wird sichtbar und mit ihm - aufgereiht wie an einer Perlenschnur - eine ganze Reihe von Sherpa. Sie scheinen kein Wetter zu kennen, keine Kälte und keine Hitze, sie haben einen Job angenommen und nun machen sie ihn, komme, was da wolle. Das mögen viele Außenstehende als Ausbeutung empfinden. Doch so ist es eben nicht. Die Klettersherpas sind von der Richtigkeit ihres Tuns inmitten einer im Grunde so unsinnigen Handlung wie dem Bergsteigen so felsenfest überzeugt, dass sie nicht einmal Widerspruch dulden. Das Gastspiel der Sonne ist von kurzer Dauer. Es reicht nicht einmal aus, um den Schnee wegzuschmelzen oder die nassen Schuhe der Sherpas zu trocknen, geschweige denn die notwendige Energie für Telefon und Computer aus der Solaranlage zu ziehen. Der Himmel bleibt milchig, die Luft kalt, die Kleidung wird wieder zusammengesucht und angezogen. Die Endstation heißt Schlafsack.

05. Mai 2001

Basislager: Vom Winde verweht

Es bläst. Es bläst um 6 Uhr und es bläst um 7 Uhr. Es bläst auch um 8 Uhr noch und selbst um 11 Uhr hat sich der Sturm noch nicht gelegt. Der Wind fegt mit eisiger Hand über das Basislager.
Es kostet Mühe und Überwindung, überhaupt aus dem Zelt heraus zu kriechen. Die Stangen der vielen kleinen orangefarbenen Behausungen werden strapaziert. Und irgendwann zerreißt es die Plane eines unserer Sherpazelte. Zum Glück haben alle Expeditionen genügend Zelte dabei. Das Esszelt beugt sich bedrohlich den Kräften der Natur. Und es ist kein Ende abzusehen. Die Wolken fetzen am Himmel entlang. Eine Richtung, aus der sie kommen oder in die sie ziehen, ist kaum auszumachen, so schnell dreht sich ständig alles über dem Lager. Das, was uns für die Höhe prophezeit war, haben wir nun hier unten. Abgeschwächt zwar, aber immerhin. Der Wetterbericht hat es praktisch genauso vorhergesagt. Starker Wind, Stürme, kaum mehr Niederschläge. Die Prognosen der Meteorologen aus aller Welt sind in diesen Tagen so begehrt wie ein gutes Stück Schwarzbrot aus einer verbeulten Blechdose. Die Vorhersagen sind nicht die Schlechtesten. Der Wind, so heißt es in den Bulletins aus Innsbruck, Stockholm und sonst wo her, soll nachlassen. Um 60 Prozent. Das ist viel, wenn man bedenkt, dass der Sturm derzeit mit über 100 Stundenkilometern über den Everestgipfel rast. Das würde bedeuten, dass sich der Wind auf ein "erträgliches" Maß abschwächt und eine Besteigung des Mount Everest schon in den nächsten Tagen in greifbare Nähe rücken könnte. Dieter Porsche, Peter Guggemos, Helmut Hackl, Christian Rottenegger und Uwe Zürner - alle Mitglieder der deutschen Everest-Expedition 2001 - sitzen praktisch in den Startlöchern. Sie sind überwiegend sehr gut vorbereitet und sind bereit, die erste, sich bietende Gelegenheit zu nutzen. Denn an Gelegenheiten ist der Everest nicht gerade reich gesegnet. Der Montag war ursprünglich ins Auge gefasst worden, in Richtung Hochlager II aufzubrechen. Nun könnte es aufgrund der außerordentlichen Winde vielleicht erst der Dienstag werden. Der Zeitplan würde demnach folgendermaßen aussehen: Dienstag (08.05.) Lager II, Mittwoch (09.05.) Lager III, Donnerstag (10.05.) Südsattel/Lager IV, Freitag (11.05.) Gipfeltag. Die Besteigung des Everest ist minutiös geplant. Nichts, aber auch gar nichts wurde dem Zufall überlassen. Die Vorbereitung ist bis auf die Hustenerkrankungen einzelner Expeditionsmitglieder eigentlich optimal verlaufen. Die Zeit bis zum Aufbruch jedoch ist nun ein reines Geduldsspiel. Und um am Ende den ganz großen Wurf zum Gipfel zu landen, braucht es schließlich auch eine gewaltige Portion Glück.

06. Mai 2001

Basislager: Morgen, vielleicht morgen!

Es gibt Tage, an denen gehen selbst im Basislager der Stoff für Klatsch, Tratsch und sogar die ernsthaften Gespräche aus. Nicht dass die Spannung raus wäre, nein, ganz im Gegenteil, aufmerksame Beobachter wollen sie sogar knistern gehört haben. Vielleicht ist das ja der Grund, dass kaum noch etwas durchsickert. Keine Expedition will sich jetzt noch in die Karten schauen lassen. Alle hoffen auf stabileres Wetter. Und tatsächlich, der Tag beginnt über dem Basislager mit strahlendem Sonnenschein und sogar erträglich warmen Temperaturen. Doch der "Spuk" ist schnell vorbei. Schon vor Mittag trübt es sich wieder ein, leichter Wind kommt auf und am Nachmittag beginnt es bei ungemütlicher Kälte, zu schneien. Zelt, Schlafsack, Bettlektüre. Ende der Veranstaltung. Die deutsche Everest-Expedition 2001 ist froh, nicht den Sonntag als Starttag gewählt zu haben. Und sie wird auch noch den Montag verstreichen lassen. Die Zeit ist noch nicht reif.

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07. Mai 2001

Basislager: Morgen, ganz sicher morgen!

Um fünf Uhr früh scharrt es vor dem Zelt der deutschen Everest Expedition 2001. Ein vertrautes, aber schon seit Tagen in diesem Ausmaß nicht mehr vernommenes Geräusch. "Krrtsch, krrtsch". Mindestens hundert schwere Bergstiefel passieren schlurfend, fast noch schlaftrunken, die Zelteingänge. An Schlaf ist unter diesen Umständen kaum noch zu denken. Also raus aus dem Zelt. Und tatsächlich, eine fast endlose Kette von Bergsteigern strebt dem Khumbu-Eisbruch entgegen. Kletter-Sherpas, schwer beladen, Bergsteiger, deren Gesichter uns längst vertraut sind. Gesprochen wird nicht. Ab und zu ein Zunicken, ein Lächeln, mehr nicht. Die Atmosphäre ist angespannt, äußerst angespannt. Der heiße Frühling 2001 am Mount Everest hat begonnen. Der Gipfel rückt scheinbar in greifbare Nähe, obwohl er doch dreieinhalb Kilometer über den Zeltdächern des Basislagers liegt. Blauer Himmel und Temperaturen, die den Kletterern im Khumbu-Eisbruch und im Western Cwm den Schweiß in Sturzbächen über den Rücken fließen lassen werden. Bergsteigerherz, was willst du mehr. Fast 70 Kletterer steigen an diesem Vormittag Richtung Lager II auf. Unter ihnen ist auch Uwe Zürner aus dem deutschen Team. Er bleibt unumstößlich bei seiner Taktik: Die erste Nacht verbringt er im Lager I. Gewohnheit, Aberglaube? Wer weiß das schon? Dieter Porsche, Helmut Hackl, Peter Guggemos und Christian Rottenegger werden am Dienstag aufbrechen. Endlich! Ihr Zeitplan sieht folgenden Ablauf vor: Dienstag (08.05.) Lager II, Mittwoch (09.05.) Lager III, Donnerstag (10.05.) Südsattel/Lager IV, Freitag (11.05.) Gipfeltag."Männer, packt zusammen, es geht los", hat Peter am Morgen gesagt. "Jetzt kommen ein paar knüppelharte Tage auf uns zu", sagt Helmut. "Wenn wir jetzt alles geben, kommen wir hinauf und auch wieder herunter", glaubt Dieter und Christian meint: "Wenn uns der Wind eine Chance lässt, dann werden wir versuchen sie zu nutzen." Es gibt ein geflügeltes Wort des Südtiroler Extrembergsteigers Hans Kammerlander, das für die nächsten Tage auch das Motto der deutschen Everest-Expedition 2001 werden soll: "Der Gipfel gehört dir erst, wenn du wieder unten bist." Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Dies wird für die nächsten Tage die vorerst letzte Meldung sein. Denn wir werden keine halben Erfolge melden. Und auf dem Gipfel zu stehen, ist, wie gesagt, erst die halbe Miete am höchsten Berg der Erde.

08. Mai 2001

Aufstieg zum Lager II: Im Sauseschritt ins Lager II

Inzwischen läuft es wie geschmiert. Der Weg durch den Khumbu-Eisbruch, hinauf zum Lager I und weiter ins Lager II ist fast schon Routine geworden. Auch wenn sich der Eisfall nach wie vor täglich verändert und das oft sogar auf dramatische Weise, ist der Weg hinauf für die allermeisten Bergsteiger zu einer lästigen Pflichtaufgabe geworden, der man sich einfach entledigen muss, wenn man dem Gipfel näherkommen will.
Uwe Zürner ist schon seit gestern im Lager I. Peter Guggemos, Dieter Porsche, Christian Rottenegger und Helmut Hackl folgen am heutigen Dienstag. Im Sauseschritt möchte man meinen. Nicht einmal fünf Stunden benötigen die Vier bis ins Camp II. Schon um 9:30 Uhr stehen sie vor den Zelten. Es ist dies der schönste Tag in den vergangenen fünf Wochen. Noch viel blauer kann ein Himmel eigentlich nicht mehr sein, kein Wölkchen trübt die traumhafte Aussicht, die sich den vielen Trekkern vom Kala Patar aus auf den Mount Everest bietet. Kein Lüftchen weht, nicht mal am Gipfel des Everest bildet sich eine Schneefahne. Das wäre er gewesen, der Gipfeltag. Doch bislang ist noch keine Expedition über den Südsattel in knapp 8000 Meter Höhe hinaus vorgedrungen. Im Lager II sitzen die Bergsteiger und werden sprichwörtlich "geröstet". Die Temperatur steigt in den Zelten, die im Western Cwm stehen, auf unerträglich 45 Grad (!) an. Folglich flüchten die Bergsteiger vor die Zelte. Aber auch dort können sie es nach ein paar Minuten nicht mehr aushalten. Der Durst wird zur Plage, der Appetit reduziert sich praktisch auf null. Die Stunden dehnen sich ins Unendliche, es ist äußerst mühsam, die Zeit "totzuschlagen". Der bisher schönste Tag in dieser Frühjahrssaison am Mount Everest verkommt zu einem "Langweiler". Nach einem spektakulären Sonnenuntergang sehnen die Expeditionsmitglieder die Nacht herbei, in der sie dann doch nicht schlafen können. Noch immer existiert in den Köpfen der Plan, morgen in aller Frühe in Richtung Lager III aufzubrechen. Gegen vier Uhr beginnt es, erneut zu schneien.

09. Mai 2001

Abstieg ins Basislager: Alle Mann zurück

Als in den Zelten die Wecker in den Armbanduhren vier Uhr anzeigen, prasselt es leise auf die Planen. Die fünf deutschen Bergsteiger verschieben ihren Aufbruch um eine Stunde. Bei diesem Wetter jagt man keinen Hund vor die Tür. Dieter Porsche, Peter Guggemos, Uwe Zürner, Helmut Hackl und Christian Rottenegger wälzen sich weiter unruhig in ihren Schlafsäcken. Gegen neun Uhr hört es schließlich auf, zu schneien. 20 Zentimeter Neuschnee verzieren die triste Stein- und Eiswüste, doch den Kletterern vermiest es die Laune restlos. Unter diesen Bedingungen ist vorübergehend an ein Weiterkommen nicht zu denken. Träume sind Schäume, sagt der Volksmund. Zähneknirschend musste dies auch die deutsche Everest-2001-Expedition anerkennen. Der Traum vom raschen Gipfelerfolg muss vertagt werden. Wieder brennt erbarmungslos die Sonne auf die Zelte im Lager II. Unterdessen kracht und ächzt es weiter unten im Khumbu-Eisfall. Riesige Eistürme stürzen durch die Wärme ein. Auf der Kletterroute tragen die Leitern die Bergsteiger nicht mehr über die tiefen Spalten. Einige mutige Sherpas haben alle Hände voll zu tun, die Route so zu sichern, dass sie nicht zu einer lebensgefährlichen Piste wird. Gegen 15 Uhr fällt die deutsche Expedition, nichts ahnend, wie gefahrvoll der Weg nach unten ist, eine Entscheidung: Bis auf Uwe, der die Nase vom Khumbu-Eisfall gestrichen voll hat, wollen alle auf dem schnellsten Weg absteigen. "Raus aus dieser unerträglichen Hitze" heißt die Devise, der Peter, Dieter, Helmut und Christian nun in Windeseile folgen. Drei Stunden später stehen die Vier im Basislager. Dort schneit es längst wieder. Das Wetter schlägt Kapriolen, während alle froh darüber sind, dass sie dem Eisfall mit heiler Haut entronnen sind.

10. Mai 2001

Basislager: Neues "Spiel", neues Glück?

Das Thema Wetter wird in diesen heißen Stunden im Basislager und in den Hochlagern niemals zum Langweiler. Die indische Armee-Expedition bezieht ihre Informationen aus Neu-Delhi, die US-amerikanische Gruppe holt sie sich aus Stockholm. Die Spanier vertrauen auf Madrid, die deutsche Expedition ruft in Innsbruck bei Dr. Gabel an. Und bisweilen geschehen sogar noch kleine Wunder - wenn drei von fünf Wetterprognosen zur Deckung finden. So ein Tag scheint dieser Donnerstag zu sein. Der Morgen begann strahlend, bis sich zu Mittag eine gewaltige, tief graue, fast schwarze Wolke über das Basislager schob. Es war dies zu der Stunde, da die ersten Prognosen wie Lauffeuer die Runde machten. Am Freitag noch Störungsausläufer, danach gehen die Winde zurück und die Großwetterlage beruhigt sich wieder. Stabiles Wetter wird versprochen. Es soll bis zum kommenden Sonntag und vielleicht sogar bis zum Anfang der nächsten Woche halten. Das "Spiel" am Mount Everest beginnt aufs Neue. Die indische Expedition ist am Morgen mit großem Aufgebot an Mensch und Material aufgebrochen, die US-amerikanische Gruppe mit einem blinden Bergsteiger will am Freitag folgen. Und auch Dieter Porsche, Peter Guggemos, Helmut Hackl und Christian Rottenegger werden am Freitag wieder aufsteigen zum Lager II, wo Uwe Zürner immer noch sitzt, weil er es leid ist, durch den verhassten Eisbruch zu wackeln. Das wird eine willkommene Abwechslung vor allem für Dieter werden, denn der ist seit diesem Donnerstag restlos zerknirscht. Offenbar eine Spannungsschwankung hat seinem kleinen Computer den Garaus gemacht. Nichts geht mehr. Die Zeilen für diese Tagebucheintragungen werden dankenswerterweise von den Freunden der US-amerikanischen Expedition überspielt. Fieberhafte Reparaturversuche schlugen bislang fehl. In seinem Frust hat er wieder einmal einen Zeitplan verfasst: Freitag Lager II, Samstag Lager III, Sonntag Südsattel und am Montag der Gipfel. "Das wäre es! Dann pfeif ich sogar auf das Notebook" sagt der geschickte Techniker, der momentan viel lieber Bergsteiger ist.

11. Mai 2001

Basislager: Geduldsspiel

Die Angelegenheit gerät immer mehr zum Geduldsspiel. Die inzwischen fast kaum noch beschreibbaren Wetterkapriolen und die Warterei im Basislager werden für die Bergsteiger am Mount Everest zusehends zu einer Nervensache. Längst schlägt das Wetter binnen Stunden um und niemand weiß mehr so recht, was die beste Taktik ist. Der Tag für die deutsche Expedition sollte ursprünglich um 4 Uhr morgens beginnen. Doch um 4 Uhr schneite es. Der Aufbruch Richtung Lager II wurde zunächst um zwei Stunden auf 6 Uhr und schließlich auf 8 Uhr verschoben. Bei der Lagebesprechung im großen Zelt wurde der Aufstieg dann ganz abgeblasen - bis 11 Uhr. Dann drehte sich wie mit dem Wind auch die Meinung. Peter Guggemos, Dieter Porsche, Christian Rottenegger und Helmut Hackl schnürten schließlich doch noch die Schuhe, schnallten die Steigeisen auf die Rucksäcke und "tauchten" in den Khumbu-Eisbruch ab. Zweieinhalb Stunden später standen sie wieder im Basislager. Immer mehr Sherpas und Mitglieder anderer Expeditionen waren ihnen entgegengekommen und hatten von teilweise katastrophalen Verhältnissen an den Flanken des Everest berichtet. Es bestünde nicht der Hauch einer Chance, auch nur in die Nähe des Gipfels zu gelangen. Spätestens in diesem Moment waren sämtliche Zeitpläne nur noch Makulatur und nicht mehr das Papier wert, auf dem sie entworfen worden waren. Resigniert stiegen die Vier wieder ab, Uwe Zürner, der fünfte Mann, harrte unverdrossen im Lager II aus, doch auch seine Zuversicht schwand stündlich. Das Wetter blieb schlecht bis zum Abend. Einzige Abwechslung in dem tristen Einerlei waren ein Reporter und ein Fotograf des Magazins "stern", die im Khumbu-Gebiet und im Everest-Basislager eine groß angelegte Reportage über Sherpas und ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten recherchieren.

12. Mai 2001

Basislager: Ein zu kleines "Wetterfenster"

Wer behauptet, die Stimmung im Basislager des Mount Everest sei besonders gut, wird spätestens dann eines Besseren belehrt, wenn er beim Spaziergang durch die große Zeltstadt die Ohren spitzt. "Angespannt bis nervös" ist sicherlich die treffendere Umschreibung. Wilde Gerüchte sind inzwischen im Umlauf. Möglicherweise, so unken einige der erfahrenen Sherpas, sei eine Besteigung des höchsten Berges der Erde vielleicht überhaupt nicht möglich. Zu schlecht, zu schwierig, zu gefährlich seien die Verhältnisse in diesem Frühjahr. Der schneearme Winter hat den Everest zu einem schwarzen Ungetüm gemacht. An den blank gefegten Hängen bindet der Neuschnee nicht. In den oberen Lagen, vor allem zwischen Camp III und dem Südsattel herrscht seit Tagen akute Lawinengefahr. Wo in anderen Jahren die Route über harten Pressschnee führte, passiert sie heuer Fels und blankes Eis. Und wie um die Sherpa-These zu untermauern, hat Apa Sherpa, der elfmalige Everest-Besteiger seiner japanischen Expedition den kompletten Rückzug verordnet. Schwer beladen kam die Expedition am Samstagmittag ins Basislager zurück. So gesehen ist es kaum verwunderlich, dass die Stimmung bei den anderen Gruppen in den Keller sinkt. Zumal die verschiedenen Wetterberichte für den Anfang der nächsten Woche nach einem ganz kurzen Zwischenhoch wieder eine Wetterverschlechterung vorhersagen. Niemand wagt zur Stunde einen Plan zu schmieden, wie es nun weitergehen soll.

13. Mai 2001

Basislager: Galgenhumor

Es gibt ja im Everest-Basislager die so genannten "Veteranen". Das sind all jene, die schon drei, viermal dort waren. Manche sogar noch öfter. Ganz gleich ob nun "Kletter-Tourist" oder Sherpa, niemand, aber auch wirklich niemand kann sich an derartige Wetterkapriolen am höchsten Berg der Erde erinnern. Inzwischen regiert fast schon der "Galgenhumor". Ein Tag schön, ein Tag schlecht - es gibt Expeditionen, die danach ihre Uhren stellen. Heute ist wieder einer dieser Traumtage. Strahlend blauer Himmel, kein Wölkchen am Vormittag, warme Temperaturen. Die Kletterer sprechen wieder einmal von einem "Gipfeltag". Doch wer am Fuß eines Berges sitzt, weil ihn die Wetterkapriolen der vergangenen Tage dorthin gezwungen haben, der ist halt nun mal nicht in der Nähe des Gipfels. Und wie so viele andere auch, sitzt die deutsche Expedition tatenlos im Basislager herum und ärgert sich maßlos. Das Einzige, was in diesen Tagen gewiss ist, ist die Ungewissheit. Alle die Gerüchte, die vagen Wetterprognosen, unbestätigte Meldungen aus den Hochlagern - alles ist Müll. Verlass ist auf nichts. Auch Uwe Zürner kommt nun ins Basislager zurück. Die Zeit im Hochlager II war lang und einsam. Peter Schorcht, Dieter Porsche, Helmut Hackl, Christian Rottenegger und nun auch Uwe Zürner diskutieren die Lage. Doch die Verhältnisse am Berg sind nur sehr schwer realistisch einzuschätzen.

14. Mai 2001

Aufstieg ins Lager II: Ein folgenschweres Naturschauspiel

Und wieder scheint die Sonne. Welch Wunder, zwei Tage hintereinander. Da ist die Entscheidung eigentlich nur allzu logisch. Aufstieg zum Lager II. Noch einmal werden die verschiedenen Wetterdienste analysiert. Letzte Klarheit soll ein Anruf beim Wetterdienst in Innsbruck, bei Dr. Gabel, bringen. Der Mann kann viel, nur keine Wunder bewirken. Um fünf Uhr früh scharrt es vor dem Zelt der deutschen Everest Expedition 2001. Ein vertrautes, aber schon seit Tagen in diesem Ausmaß nicht mehr vernommenes Geräusch. "Krrtsch, krrtsch". Mindestens hundert schwere Bergstiefel passieren schlurfend, fast noch schlaftrunken, die Zelteingänge. An Schlaf ist unter diesen Umständen kaum noch zu denken. Also raus aus dem Zelt. Und tatsächlich, eine fast endlose Kette von Bergsteigern strebt dem Khumbu-Eisbruch entgegen. Klettersherpas, schwer beladen, Bergsteiger, deren Gesichter uns längst vertraut sind. Gesprochen wird nicht. Ab und zu ein Zunicken, ein Lächeln, mehr nicht. Die Atmosphäre ist angespannt, äußerst angespannt. Der heiße Frühling 2001 am Mount Everest hat begonnen. Und vor allem kann er nicht lokale Störungen vorhersehen. Gabel analysiert die Großwetterlage zwischen Pakistan, Indien und dem Zentral-Himalaya. Es sieht gut aus. Wenigstens vier Tage stabiles Wetter. Da sind die Rucksäcke schnell gepackt. Um 14 Uhr brechen die Mitglieder der deutschen Everest-Expedition auf. Manche gehen nun schon zum siebten Mal durch den Eisbruch. Routine, alles ist längst schon Routine. Höher hinauf soll es nun endlich gehen. Der Auftrieb ist groß. Die Hoffnungen, nun endlich den Gipfel zu erreichen, steigen ins Unermessliche. Nach gut vier Stunden schon stehen die Kletterer vor den Zelten von Lager II. Der Himmel ist längst bewölkt und es hat sogar begonnen heftig zu schneien, doch die gute Stimmung bleibt ungebrochen. Am frühen Morgen hatte sich ein bezeichnendes Wetterbild am Himmel gezeigt. Die Sonne war von einer kreisrunden, gewaltigen so genannten "Corona" umgeben. Dieter Porsche erinnert an das Vorjahr, als er mit Peter Guggemos am Makalu war. Auch dort hatten häufig Eiskristalle diesen Regenbogen um die Sonne gebildet. "Meist hatten wir fünf bis acht Stunden später reichlich Neuschnee", erklärte der erfahrene Achttausendermann das eindrucksvolle Naturschauspiel und seine fatalen Auswirkungen. Doch wen interessiert schon eine "Corona", wenn sich die Flanken des Mount Everest endlich einmal für ein paar Stunden recht einladend präsentieren. Das Prinzip Hoffnung beherrscht alles.

15. Mai 2001

Rückzug ins Basislager: Gewitter und andere Erschütterungen

Hoffnung, was ist das schon an einem so gewaltigen Berg wie dem Mount Everest? Eine Gefühlsregung! Mehr aber auch nicht. Die starke Bewölkung hat sich in der Nacht nicht aufgelöst. Gegen Mitternacht stellt Peter Schorcht fest, dass es "viel zu warm" ist.
Nachts um vier Uhr kracht es. Die deutschen Kletterer glauben zuerst an eine Lawine. Christian Rottenegger packt - jäh aus dem Schlaf gerissen - für einen Moment das Entsetzen. Er denkt, eine Lawine reißt das Hochlager in die Tiefe. Doch das Grollen rührt vielmehr von einem unglaublichen Gewitter her, das sich durch das Aufeinanderprallen warmer und kalter Luftmassen gebildet hat. Gewitter von dieser Wucht sind an den hohen Bergen der Erde eher selten. Der unheimliche Wahnsinn hält eine gute halbe Stunde an. Die Blitze reflektieren auf dem Schnee und sorgen für sekundenlange Helligkeit wie im Scheinwerferlicht. Blitz und Donner sind nahezu eins. Selbst hartgesottene Bergsteiger sitzen in diesen bangen Minuten in den Zelten. An Schlaf ist nicht zu denken. So schnell das Unwetter daherkam, so schnell ist der Spuk auf wieder vorüber. Leise beginnt es zu schneien. Über den Zelten im Lager II legt sich eine geschlossene weiße Schneedecke. Bis in die Morgenstunden werden es rund 15 Zentimeter sein. Um sechs Uhr funkt Peter Schorcht hinunter ins Basislager. Auch dort schneit es seit Stunden. Eine Entscheidung über die weitere Vorgehensweise wird auf sieben und dann auf acht Uhr vertagt. Es schneit auch da noch. Rückzug heißt die Entscheidung. Sie wird durch Meldungen aus dem Lager III bestätigt. Von dort melden Bergsteiger ebenfalls Schnee und, schlimmer noch, starker Sturm. Gut zwei Stunden später steht das deutsche Quintett wieder vor den Reisverschlüssen ihrer Basislagerzelte. Doch diesmal ist irgendwie alles anders als bei vorangegangenen Rückzügen. Diesmal bleibt nach der Rückkehr ein fader Beigeschmack. Die Hoffnungen, den Gipfel zu erreichen, der Wille, alles zu geben, der Glaube, sich bis zum Äußersten zu schinden, waren gewaltig. Und nun? Nichts. Derlei bleibt nach fast 40 Tagen im Basislager des Mount Everest nicht ohne Wirkung. Manch einer aus der deutschen Expedition wirkt wie ein angeschlagener Boxer. Wenn Bergsteigen etwas mit Moral zu tun hat und nicht nur mit einer unerschütterlichen Grundeinstellung, dann ist diese Moral nun zum ersten Mal richtig "angeknackst".

16. Mai 2001

Basislager: Der Faktor Zeit ist der große Gegenspieler

Blauer Himmel - entgegen allen Wettervorhersagen. Welch ein Wunder. Oder gibt es am Mount Everest keine Wunder? Gibt es dort nur Überraschungen? Kopfschüttelnd steht Dieter Porsche schon kurz vor sieben vor seinem Zelt. Köpfe schütteln tun auch alle anderen. Die Sonnenpracht erfreut oder erschüttert (je nach Einstellung) die Gemüter nicht lange. Schon im Laufe des Vormittages zieht es wieder komplett zu und gegen Mittag beginnt es, ganz leicht zu schneien.
Und wieder einmal wird ein Tag vergehen. Und wieder beginnt die Rechnerei. Es geht dabei längst nicht mehr um Kilogramm Gepäck, die den Berg hinauftransportiert werden müssen. Der Faktor Zeit bewegt den Rechenschieber. Die Regeln der nepalesischen Regierung schreiben vor, dass alle Bergsteiger am 31. Mai im Basislager zurück sein müssen. Vier Tage benötigt eine starke Gruppe, um den Gipfel zu erreichen, wenigstens zwei Tage sind es wieder hinunter. Drei bis vier Tage braucht es, um die Hochlager "abzubauen". Und rasten muss der bergsteigende Mensch ja schließlich auch irgendwann einmal. Da muss man nicht ein großer Rechner sein, um ganz leicht darauf zu kommen, dass die Zeit nun knapp wird. Am letzten Tag vom Mai ist die Frühjahrssaison im Himalaja unwiderruflich vorbei. Und so verbreiten sich wie bösartige Viren Unruhe und Nervosität im Basislager. Mit Argusaugen werden die Aktionen der einzelnen Expeditionen beobachtet. Vor allem die großen Gruppen der US-Amerikaner oder der Inder stehen unter besonderer Beobachtung. Aber was hilft das alles. Das Wetter, die Neuschneemassen, die Tatsache, dass der Gipfelanstieg noch immer nicht abschließend fixiert ist, all das ist nicht oder nur schwer beeinflussbar. Die Zeit rennt und einige Sherpas sehen sich in ihrer Meinung bestärkt, dass Sagarmatha, die Königin Mutter der Erde, wie die Nepalesen den Mount Everest ehrfürchtig nennen, vielleicht in dieser Saison unbestiegen bleiben könnte.

17. Mai 2001

Basislager: Wieder in Warteposition

Essen und Trinken, so weiß der Volksmund, hält Leib und Seele zusammen. Doch immer nur Essen und immer nur Trinken hält auf die Dauer auch kaum einer aus. Und die einzige Bewegung, die man sich vom Basislager des Mount Everest aus verschaffen kann, führt immer irgendwo hinauf. Der riesige Platz auf dem Gletscher ist sozusagen umkränzt von Sieben- und Achttausendern.
Hinauf also heißt die Devise, und weil sich der Everest immer noch nicht in einem Zustand präsentiert, in dem man ihn wenigstens halbwegs gefahrlos besteigen könnte, kann man ja mal einen anderen Ausflug machen. Jedenfalls ist Dieter Porsche´s Zelt seit in der Früh um 5 Uhr leer. Mickey-Mouse-klein kann man ihn drüben an den Hängen des Pumori sehen. Langsam strebt er dort dem ersten Hochlager entgegen. Dort hat sich vor rund drei Wochen eine sächsische Expedition vergebens bemüht. Über 1500 Meter Fixseil haben die wackeren Sachsen verlegt und doch den Gipfel nicht erreicht. Der höchste Punkt des Pumori liegt auch Dieter nicht im Sinn. Was er will, ist den gewaltigen Ausblick, den man von dieser Seite auf Everest, Lhotse und Nuptse hat. Einige Stunden später steht er wieder im Basislager. Und was wir anschließend von der kleinen digitalen Kamera "herunterladen", ist tatsächlich grandios. Der Everest präsentiert sich an diesem Morgen nahezu makellos. Wären nicht die fragilen Schneemassen in den unteren Regionen, man könnte ohne Zweifel von einem "idealen Gipfeltag" sprechen. Aber noch ist es nicht ganz so weit. Im Basislager herrscht Wartestimmung. Alle Bergsteiger wissen: Angesichts der fortgeschrittenen Zeit wird es nun die wahrscheinliche einzige, aber ganz sicher letzte Chance sein, in dieser Saison vielleicht doch noch den höchsten Punkt der Erde zu erreichen. Vor diesem Hintergrund will der Starttag mit viel Bedacht und noch mehr Umsicht gewählt werden.

18. Mai 2001

Basislager: Morgen, ganz sicher

Das große Problem an den Hängen des Mount Everest ist momentan die Schneelage und die nicht genau zu bestimmenden Windverhältnisse. Ansonsten passt eigentlich alles. Doch bevor ein wirklich ernst zu nehmender Gipfelversuch gewagt werden kann, muss sich der Neuschnee der vergangenen Tage erst "absetzen". Und dann müssen die Windgeschwindigkeiten im Gipfelbereich auf ein erträgliches Maß abgesunken sein. Sie sollten unter 40 Stundenkilometer liegen. Ganz windstill wird es am höchsten Berg der Erde wohl kaum jemals sein. Morgen nun, so hat die deutsche Everest-Expedition 2001, nach vielen Diskussionen festgelegt, soll es soweit sein. Das Spiel mit dem Zeitplan ist regelmäßigen Besuchern dieser Internet-Seite längst vertraut: Am ersten Tag ins Lager II, am Tag drauf ins Lager III, dann in den Südsattel und von dort am vierten Tag zum Gipfel. Das wäre die Idealsituation. Ob es so gelingen mag, steht indes nach wie vor in den Sternen. Vor allem am Gipfeltag muss alles zusammenpassen, wenn der "große Wurf" gelingen soll: Wetter, Konditionen, Glück und die ganz persönliche Einstellung. Morgen also, morgen packen sie es an. Dieter Porsche, Peter Guggemos, Christian Rottenegger und Helmut Hackl werden versuchen, aufs Dach der Welt zu steigen. Ein Name fehlt, aufmerksame Leser haben es längst bemerkt. Uwe Zürner hat den Weg Richtung Kathmandu angetreten. Er hat die Nase voll vom Khumbu-Eisbruch und sah in den letzten Tagen die Chancen aufgrund der schwierigen Witterungsverhältnisse rapide schwinden. Die übrigen Expeditionsmitglieder haben diese zweifellos schwierigste aller Entscheidung mit sehr viel Hochachtung respektiert. Umkehren ist schon immer ein schwieriges Thema beim Klettern gewesen, ganz gleich ob an kleinen oder an den ganz großen Bergen dieser Erde. Morgen also, morgen geht es los. Es wird die einzige wirklich ernst zu nehmende Chance sein, dem Everest aufs Haupt zu steigen. Diese Saison war nicht geeignet für viele "Höhenflüge". Und so setzen nahezu alle Expeditionen auf diese nächsten Tage, für die wieder einmal stabiles Wetter versprochen worden ist. Morgen, morgen endlich.

19. Mai 2001

Aufstieg ins Lager II: Brütende Hitze und eine Lawine

Es ist der 44. Tag im Basislager. 44. Tage am Mount Everest. 44. Tage Vorbereitung und vereinzelte Versuche, den höchsten Berg der Erde zu besteigen. Die Mitglieder der deutschen Everest-Expedition 2001 sind nach wie vor hoch motiviert.
Peter Guggemos, Dieter Porsche, Helmut Hackl und Christian Rottenegger wollen es nach wie vor wissen. Von Ermüdungserscheinungen keine Spur. Dabei wissen die verbliebenen vier Mitglieder der ursprünglich siebenköpfigen Gruppe seit sechs Wochen nicht mehr, was ein Bett ist, wie es auf einer normalen Toilette aussieht und wie es ist, wenn sich nicht mehr als die Hälfte des täglichen Lebens praktisch am Boden abspielt. Längst ist das "Gewackel" über die Gletschermoräne vom Schlafzelt zum Esszelt und weiter zum Toilettenzelt zur Routine geworden. Nur manchmal ist noch der berühmt-berüchtigte Satz zu hören: "Wie gern würde ich jetzt ein Wiener Schnitzel essen." Um den höchsten aller Berge dieser Erde besteigen zu wollen, bedarf es schon einer gehörigen Portion Leidensfähigkeit. Vor diesem Hintergrund ist es für die vielen, vielen im Süd-Basislager des Everest nach ein paar Tagen im Basislager fast schon eine Erleichterung, wenn sie wieder die Schuhe anziehen, den Rucksack über die Schultern werfen und hinaufsteigen in die eisigen Höhen. Der 44. Tag bringt wieder einen Aufbruch. Und dieser 44. Tag steht unter besonderen Vorzeichen. Die eher verwirrenden als hilfreiche Wetterberichte, spielen auf einmal nur noch eine untergeordnete Rolle. Ab jetzt gilt nur noch eines: Das Zusammenwirken von Motivation und dem drängenden Faktor Zeit bestimmen bei den Expeditionen die Entscheidungen. Auf einmal herrscht überall Aufbruchstimmung. 72 Bergsteiger werden an diesem Tag binnen weniger Stunden im Khumbu-Eisbruch, der schwierigen Auftaktetappe der Everest -Besteigung, gezählt. Ganz früh am Morgen sind Peter und Dieter schon an den Gletscherhängen des Everest und erreichen nach rund vier Stunden das Lager II. Dort herrscht wieder einmal brütende Hitze. Das Thermometer schnellt auf 45 Grad plus (!) hinauf. Für die Bergsteiger schier unerträglich. Selbst als Peter und Dieter die silberbeschichtete Rettungsdecke über das kleine Zelt werfen, bringt das nur bedingt und für kurze Zeit wirkliche Linderung. Als Helmut und Christian gegen 13 Uhr aufbrechen, brennt die Sonne noch immer gnadenlos in den Eisbruch. Doch schon nach einer Stunde schieben sich Wolken vor die Sonne. Der vermeintlich clevere Schachzug der beiden bayerischen Bergsteiger endet jedoch um ein Haar in einer tödlichen Falle. Die Hitze und die enorme Sonneneinstrahlung haben die Hänge des Everest und der umliegenden Bergriesen fragil werden lassen. Zwischen Lager I und Lager II löst sich gegen 17 Uhr in der gewaltigen Nordwand des Nuptse eine Lawine und rast genau auf die beiden deutschen Bergsteiger zu. Im letzten Moment werfen sie sich zu Boden und die Schneemassen donnern mit einer derartigen Wucht über sie hinweg, dass hinterher nicht nur in den Rucksäcken, sondern sogar in den Ohren der beiden, Schnee steckt. Was daheim in den Alpen wahrscheinlich zum sicheren Abbruch einer Tour führen würde, wird am Everest allenfalls als kleiner Rülpser der Natur gewertet. Christian und Helmut schütteln sich den Schnee von den Anoraks und den Schrecken aus den Gliedern. Weiter geht's. Der Everest ist kein Berg für zarte Gemüter.

20. Mai 2001

Aufstieg ins Lager III: Zelte eingeschneit

Der Zeitplan sieht für diesen Tag den Aufstieg vom Lager II ins Lager III vor. Doch dieser Tag soll anders enden, als er geplant war. Er wird beweisen, wie nah am höchsten Berg der Welt, wie nah am dritten Pol Erfolg und Misserfolg beieinanderliegen. Peter Guggemos und Dieter Porsche erprobten an vielen Achttausendern und seit vielen Jahren schon ein außergewöhnliches Gespann, wählen erneut die frühe Variante.
Um 5 Uhr schälen sie sich eher widerwillig aus den Schlafsäcken. Wer steht schon gern bei minus 20 Grad auf und strebt mit vollem Elan einer Bergtour entgegen, die schon wenige Stunden später erneut fast unerträgliche Hitzetemperaturen bringen wird? Es ist das übliche Ritual: Wasser kochen, ein karges Frühstück bereiten, anziehen, die Steigeisen anlegen, sich aus dem Zelt wagen und langsam, langsam in einen Gehrhythmus kommen. Um 6 Uhr gehen Dieter und Peter los. Sie steigen einem herrlichen Tag im Himalaja entgegen. Auch diese steile Wegstrecke in der Lhotseflanke ist den deutschen Bergsteigern längst vertraut. Die vereiste "Piste" hinauf zum Lager III ist zwar keine Routine - nichts an diesem Berg sollte jemals zur Routine werden -, doch mit den immer neuen Versuchen, hinaufzugelangen, ist das Selbstbewusstsein der Kletterer gewachsen. Schon nach vier Stunden stehen die beiden vor den Zelten des "Dreier-Lagers". Das heißt, sie stehen vor dem, was davon gerade noch zu sehen ist. Fast eineinhalb Stunden müssen die beiden mit der Lawinenschaufel graben, bis sie die überlebensnotwendigen Zelte auf dem kleinen Plateau endlich freigelegt haben. Derweil spielen sich in der unteren Lhotseflanke fast schon dramatische Szenen ab. Helmut und Christian haben erneut die spätere Variante gewählt. Diesmal jedoch soll sich der Schachzug als fatal erweisen. Als die beiden das Zelt verlassen, brennt bereits die Sonne in die Flanke. Der Kessel des gewaltigen Hochtals heizt sich binnen kurzer Zeit auf wie ein Backofen. Vor allem Christian hat mit der erbarmungslosen Hitze zu kämpfen. Er greift zu verzweifelten, aber erprobten Notmitteln. Er packt Schnee in seine schwarze Franziskaner-Schildmütze und stülpt die "Kältepackung" auf den Kopf.
Doch was an einem Badesee vielleicht kurzfristig Linderung bringt, hilft an diesem Tag gar nichts. Im Gegenteil, die plötzliche Kälte auf der Kopfhaut sorgt für zusätzliche Probleme. Stechende Kopfschmerzen stellen sich ein. Bald kommt Übelkeit dazu. Nach einigen Pausen und knapp vier Stunden fordert die Anstrengung ihren Tribut. Zweimal binnen kurzer Zeit muss sich der Bobinger übergeben. Das mag auf den ersten Blick nicht weiter schlimm sein. Doch es ist ein elementarer Unterschied, ob man sich daheim oder in knapp 7000 Meter Höhe übergeben muss. In diesen gewaltigen Höhen kostet das unendlich viel Kraft - und es bedeutet nicht selten das Aus. Christian seilt an den Fixseilen ein Stück ab und lässt sich entkräftet in den Schnee fallen. Er hofft noch immer darauf, dass er sich erholen kann. Doch das ist nicht mehr möglich. Er spürt es längst selbst. Um zu erkennen, dass er in diesem Zustand keinen Meter mehr weiter hinaufkommt, braucht er keinen Arzt. Müde und abgekämpft erreicht er nach Stunden wieder das Lager II. Dort lässt er sich in eines der Zelte fallen und versucht Schnee zu Wasser zu schmelzen, um den enormen Flüssigkeitsverlust auszugleichen, der in diesen Höhen den Tod bedeuten kann. Dann funkt er ins Basislager hinunter, dass er aufgeben wird, dass er versuchen wird, die Nacht irgendwie durchzustehen, um dann abzusteigen. Für ihn ist es in diesen bangen Sekunden beschlossene Sache, dass er dem Everest den Rücken kehren wird. In diesem Zustand wäre jeder weitere Versuch möglicherweise sträflicher Leichtsinn. Unterdessen hat Helmut der Lager III erreicht. Er macht sich nicht mehr die Mühe, eines der Zelte freizuschaufeln. 15 Zentimeter der Zeltplane schauen oben noch heraus. Durch das kleine Loch der rettenden Hülle kriecht der urige Bayer in das Zelt. Seine beiden Freunde Peter und Dieter bringen ihm einen Liter Wasser. Helmut trinkt und trinkt mit der Gier des Verdurstenden in der Wüste, dann schläft er ein. Die Nacht wird abermals klirrend kalt. Die drei verbliebenen Bergsteiger der deutschen Everest-Expedition 2001 sind ihrem so riesig wirkenden Ziel wieder ein entscheidendes Stück nähergekommen.

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21. Mai 2001

In der Todeszone: Sturm am Südsattel

46. Tag der Expedition. 46 Tage Entbehrungen. 46 Tage Hoffnungen. 46 Tage Ängste. Und jetzt könnte auf einmal alles ganz schnell gehen. Ärzte und Fachleute haben das, was jetzt bevorsteht, den Vorstoß in die "Todeszone" genannt. In Höhen oberhalb von 8000 Metern über dem Meeresspiegel ist ein Überleben nur noch für ein paar Stunden möglich. Und auch nur dann, wenn der Körper entsprechend auf große Höhen akklimatisiert ist.
An Erholung ist nicht mehr zu denken. Muskeln und Organe schaffen es nicht mehr, sich zu regenerieren. Der Körper hat auf "Notbetrieb" umgeschaltet. Und diese Notversorgung beschränkt sich darauf, die wichtigsten Funktionen zu erhalten. Der Durst ist noch da. Aber Hunger leiden die Kletterer nicht. Die Ausscheidung körpereigener Säfte ist praktisch eingestellt. Richtiges Leben ist das nicht mehr da oben. Allenfalls noch ein Dahinvegetieren. Schnelligkeit ist jetzt die entscheidende Trumpfkarte. Schnelligkeit! Je kürzer sich die Bergsteiger in der gefährlichen Zone aufhalten, umso geringer ist die Gefahr bleibender organischer Schäden oder schwerer Erfrierungen. Dieter Porsche, Peter Guggemos und Helmut Hackl kommen auf dem erneut enorm steilen Weg erstaunlich schnell voran. Schon zum Sonnenaufgang erreichen sie das so genannte "Gelbe Band", einen markanten Punkt in einer Höhe von 7.700 Metern. Danach zieht ein weiterer steiler Aufschwung hinauf zu einer exponierten Querung zum eigentlichen Südsattel, der von den Bergsteigern despektierlich als die "höchstgelegene Müllkippe der Welt" bezeichnet wird. Doch dem ist schon lange nicht mehr so. In den vergangenen Jahren wurde tonnenweise der Unrat vom Berg geschafft. (Wir haben an anderer Stelle schon einmal über die enormen Leistungen der Sherpas bei der Müllbeseitigung berichtet.) Wer in den Alpen schon einmal beim Bergsteigen war, der weiß, was ein "Jochwind" ist. Doch so ein kräftiger Jochwind ist allenfalls ein laues "Lüfterl" gegen den Sturm, der fast täglich über den Südsattel des Everest bläst. Der tiefste Punkt zwischen Lhotse und Everest gilt gemeinhin unter Bergsteigern als "die Hölle auf Erden".
Ohne die dicken, unförmigen, aber schließlich doch mollig warmen Daunenanzüge, geht dort oben, auf annähernd 8000 Metern nichts mehr. Der Südsattel ist riesig groß. Hunderte Zelte würden dort notfalls Platz finden. Doch die wenigsten der ambitionierten Bergsteiger aus aller Welt kommen überhaupt bis dorthin. Und so verlieren sich an diesem klirrend kalten Nachmittag des 21. Mai 2001 nur rund zwanzig Zelte auf dem Südsattel des Mount Everest im Lager IV. Dieser "Southcol" ist der alles entscheidende Ausgangspunkt für die letzte Etappe. In der Abendsonne fällt unser Blick hinaus auf die atemberaubende Bergwelt Nepals, aber auch hinein in die gesamte Aufstiegsroute zum Gipfel des Mount Everest. Während Peter, Dieter und Helmut sich dankbar in die Zelte und dort in die Schlafsäcke zurückziehen und dem geplanten mitternächtlichen Aufbruch entgegendämmern, ist weit unten im Basislager Christian angekommen. Er ist restlos "ausgepowert", eigentlich am Ende seiner Kräfte. Und dennoch, seinen sehnlichsten Wunsch kann er noch aussprechen, bevor auch er in stundenlangen Tiefschlaf fällt: "Eine Wildsoße, das wäre es jetzt. Aber mit ausreichend Knödel!" Es sind daran besteht kein Zweifel, die ganz großen Kleinigkeiten, die das Leben lebenswert machen, auch und gerade am Mount Everest.

22. Mai 2001

Gipfelanstieg: Tag der Entscheidung

Seit vielen Jahren ist es am höchsten Berg der Erde üblich, gegen Mitternacht, im schmalen Schein der Stirnlampen in Richtung Gipfel aufzubrechen. Das hat einen guten Grund. Der Südtiroler Extrembergsteiger Hans Kammerlander, der sich in diesen Tagen anschickt, seinen 13. Achttausender, den K2 in Pakistan, zu besteigen, hat einmal sehr treffend formuliert: "Der Gipfel gehört dir erst, wenn du wieder herunten bist."
Das, genau das ist eines der größten Probleme auch am Mount Everest. Den Erfolg vom Gipfel wieder hinunter ins Tal zu tragen, das ist die eigentliche Aufgabe. Die enorme Müdigkeit zu überwinden und die letzten Reserven zu mobilisieren, um dann auch den Weg in sichere Gefilde zu finden, beschäftigt die Bergsteiger sehr intensiv und das macht bei den meisten von ihnen auch die wirkliche Angst aus. Vor diesem Hintergrund spielt der Faktor Zeit beim Gipfelgang eine ganz entscheidende Bedeutung.
Da vor allem in den Nachmittagsstunden starke Höhenstürme und häufig auch Schneefälle durch die Wolkenbildung drohen, gilt als Fixpunkt für die Umkehr oder das Erreichen des Gipfels die Mittagsstunde oder allerspätestens 14 Uhr. Die sträfliche Missachtung dieser Umkehrzeit führte 1996 zu der hinlänglich bekannten Katastrophe am Everest, bei der binnen weniger Stunden sechs Bergsteiger um Leben kamen. Peter Guggemos, Dieter Porsche und Helmut Hackl dämmern seit Stunden in den Zelten vor sich hin. Sie schmelzen Schnee und kochen Tee. Diese Nacht oder besser gesagt dieser Abend vom 21. auf den 22. Mai dehnt sich endlos. An Schlaf ist nicht mehr zu denken. Jeder hängt seinen Gedanken nach. Im Geiste wird immer und immer wieder jeder einzelne Handgriff durchgespielt.
Der geringste Fehler in dieser Höhe könnte den sicheren Tod oder zumindest schwere Erfrierungen bedeuten. Die deutschen Bergsteiger gehen kein Risiko ein. Sie haben die Atemmasken vor dem Gesicht und atmen künstlichen Sauerstoff aus den markant orangefarbenen Flaschen. Schon zu diesem Zeitpunkt, in einer ruhenden Lage des Körpers, gibt es jedoch massive Probleme mit der ungewohnten Technik. Peter, Dieter und Helmut haben ihre bisherigen Achttausender konsequent ohne die Hilfe von künstlichem Sauerstoff bestiegen.
Doch am höchsten Berg der Welt ist das Risiko bleibender Schäden durch zu langen Aufenthalt in der "Todeszone" zu groß. Gegen halb zehn am Abend des 21. Mai beginnen die Drei wieder mit der mühseligen Prozedur des Kochens. Es geht dabei nicht mehr um die Zubereitung von Essen. Hunger hat keiner. Die Zufuhr von Flüssigkeit ist nun der entscheidende Punkt. Und so versuchen sich die drei wie Kamele mit Flüssigkeit "volllaufen" zu lassen. Viel mehr als einen Liter werden sie später kaum mit sich tragen können.
Um 23.30 Uhr stehen sie vor ihren Zelten. Die Steigeisen kratzen über den festgefrorenen Firn. Nach einem Flachstück beginnt der Aufstieg. Die Regler an den Sauerstoffflaschen sind auf zwei Liter pro Minute eingestellt. Das ist nicht viel, aber genügt, um das Gehirn und die Vitalkräfte des Körpers mit ausreichend Lebenselixier zu versorgen. Die drei deutschen Bergsteiger und ihre drei Sherpas kommen gut voran. Doch was sich schon in der Nacht andeutete, entwickelt sich immer mehr in eine fatale Richtung. Die Atemmaske wirkt in negativer Hinsicht: Zum einen haben die Kletterer das Gefühl, das sie bisweilen ersticken, zum anderen ist das Sichtfeld extrem eingeschränkt. Dieter klagt darüber, dass er nicht erkennen kann, wo er seine Füße hinsetzt. Und das in über 8000 Metern Höhe. Dann wieder drückt die Maske gegen die Brille und sorgt für weitere Einschränkungen. Nach und nach verfluchen die Drei die eigentlich hilfreichen künstlichen Hilfsmittel. Und dennoch, stetig geht es voran. Fixseile werden verlegt und somit die Route zum Gipfel zum ersten Mal bestiegen.
Die ganze Nacht über bläst ein eisiger Wind. Er wirbelt Eiskristalle auf, die die wenigen freien Hautpartien treffen wie Peitschenhiebe. Und weiterhin machen den drei deutschen Bergsteigern die ungewohnten Atemmasken zu schaffen. Peter dreht bei etwa 8400 Meter Höhe um. Schier unerträgliche Rückenschmerzen, deren Ursache er sich selbst Tage später nicht erklären können wird, zwingen ihn zur Aufgabe und zum direkten Abstieg bis ins Lager II. Dieter und Helmut streben derweil weiterhin dem Gipfel entgegen. Doch die Zeit rinnt unaufhaltsam dahin. Vor allem das Verlegen der meist unentbehrlichen Fixseile "frisst" Stunde um Stunde. Gegen 10 Uhr erreichen die beiden zusammen mit den Sherpas den sogenannten Südgipfel auf 8751 Metern. Dort geht das Material zu Ende: Keine Fixseile mehr, keine Firnanker und keine Eisschrauben. Dawa Chiri, Chef des deutschen Sherpa-Teams, trifft die Entscheidung: Umkehr! Eine Fortsetzung des Gipfelanstieges ohne weitere Sicherungen erachtet er als viel zu gefährlich und unter den gegebenen Verhältnissen nicht machbar. Auch so etwas passiert am Everest. Die deutsche Expedition hat den Weg bis zum Südgipfel "freigemacht", hat sich aufgerieben in einer Situation, die sonst den "großen" Expeditionen vorbehalten bleibt. Die Umkehr fällt schwer, zumal mit der Gewissheit, dass es nur wenige Stunden, vielleicht einen Tag, dauern wird, bis andere Bergsteiger in dieser Spur und an den neuen Fixseilen mit mehr Erfolg dem Gipfel entgegenstreben werden. Das ist bitter. Doch es ändert nichts an dem Entschluss der Vernunft. Dieter schläft noch einmal am Südsattel. Es hat fast den Anschein, als wolle er all das Geschehene nicht wahrhaben. Helmut will nur noch hinunter. Er fasst den direkten Abstieg ins Basislager ins Auge, bleibt aber dann noch im Lager II, wo er auf Peter, den Expeditionschef trifft. Die Enttäuschung ist ihnen allen anzumerken.

23. - 26. Mai 2001

Basislager: Die letzten Tage und der Aufbruch

Es herrscht Aufbruchstimmung im deutschen Camp. Für Helmut Hackl und Christian Rottenegger ist nach der Rückkehr klar, dass sie keinen Versuch mehr starten werden. Als Peter Guggemos und Dieter Porsche im Zeltdorf ankommen, scheint klar, dass es das für die beiden noch nicht gewesen sein kann.
Sie haben die entscheidenden Ausrüstungsgegenstände in den Hochlagern zurückgelassen. Sie sind entschlossen, noch einen Versuch zu wagen. Die Überlegungen währen bis zum 25. Mai, dann muss eine Entscheidung gefällt werden. Links oder rechts, rauf oder runter, Risiko oder Sicherheit? Die Überlegung geht dahin, einen Blitzanstieg zu riskieren. Vom Basislager ins Lager II, von dort direkt zum Südsattel und dann zum Gipfel.
Ohne Gepäck, ohne künstlichen Sauerstoff, ohne Sicherheitskette nach unten. Doch zu diesem Zeitpunkt wären sämtliche anderen Expeditionen vom Berg herunter. Hilfe in einer Notsituation wäre nicht zu erwarten. Darüber hinaus sind Peter und Dieter noch nicht wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte. Und auch die Wetteraussichten versprechen nichts wirklich Gutes für die letzten Tage der Saison.
Und so fällt am Vormittag des 25. Mai, nach 50 Tagen am Fuß des Mount Everest die schwere Entscheidung: Die deutsche Everest-Expedition 2001 ist zu Ende. Die vier verbliebenen Bergsteiger werden am 26. Mai den Heimweg antreten.
Sie nehmen großartige Eindrücke mit nach Hause, Eindrücke aus einem Land voller Gastfreundlichkeit und von einem Berg, der keine Fehler verzeiht, seien es nun persönliche oder taktische. Auch dieses Tagebuch wird nun zugeklappt. Wir alle hoffen, dass es ein paar interessante Einblicke in die Welt der ganz hohen Berge gewährt hat. Alle Mitglieder dieser Expedition haben mit ihren Schilderungen, Erfahrungen und Berichten zum Entstehen dieser Zeilen mitgewirkt.
Dass diese Expedition zum höchsten Berg der Erde nicht zu einem erfolgreichen Ende auf dem Gipfel geführt hat, mag manch einen betrüben, wichtiger jedoch ist allein die Tatsache, dass niemand zu Schaden gekommen ist!

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